Im Bann des Feuers Drachen2
auch von dem Duft des Giftes verändert wurde, der dieses Gewölbe durchdrang.
Pulsierend und schmerzhaft lief mir plötzlich das Wasser im Mund zusammen, mein Herz schlug unregelmäßig und schien in meiner Brust zu tanzen.
»Großmutter!«, rief der Eunuch. Er ließ meine Hand los und umklammerte seinen Bauch. »Großmutter!«
Aus verschiedenen dunklen Ecken des Gewölbes, aus Nischen, die hier und da in die Wände des Gewölbes eingelassen waren, in dem wir standen, drang ein leises Rascheln, als würden sich Tote aus ihrem ewigen Schlummer erheben und auf uns zuschlurfen. Mein Herz schlug schmerzhaft, wie rasend, und ich wandte mich unwillkürlich zu der Tür um, durch die wir gerade getreten waren. Dann fielen mir die beiden Wachen ein, die mich so selbstsicher und lüstern angestarrt hatten. Ich schluckte, drehte mich wieder von der Tür weg und stellte mich dem, was mich erwartete.
»Kommt schon, kommt.« Der Eunuch schnalzte ungeduldig mit der Zunge.
Dann sah ich sie, als sie auf uns zuschwebten, so schlank und bleich, als würden sie im Schein des Mondes wandeln.
Frauen.
»Da ist sie: das hunderteste Mädchen. Stellt Euch Najivia vor, Mädchen.«
Ich versteifte mich, biss mir auf die Zunge, um nicht zu schreien.
Die Frauen, die auf mich zuschlurften, wirkten unnatürlich; ihre Haut war fast so weiß wie die eines Nordländers, dabei jedoch so wächsern wie die Blüte einer Orchidee. Ihre Schultern hingen herab, als bestünden sie aus schmelzendem Wachs, und ihre Hände hingen herunter, als wären sie zu schwer, als dass man sie anheben könnte. Ihr dünnes Haar reichte bis zu ihren Ellbogen, und ihre Kopfhaut war unter ihren Haaren deutlich zu erkennen. Die Augen ausnahmslos aller Frauen waren von eiternder, roter Haut umringt und wirkten viel zu groß – als hätte man sie einem größeren Geschöpf entnommen und wie große, verfaulende Pflaumen in ihre schimmernden, teigigen Gesichter gepflanzt.
Nicht dass ihre Gesichter plump gewesen wären, oh nein. Nein, sie waren hager. Aber kaum eine Falte, keine Furche verunstaltete ihre Wangen, so dass ihre Gesichter mich an den Teig erinnerten, aus dem man die heiligen Kuchen machte: Rund, glatt, mit einer dünnen Schicht Schmalz überzogen.
Es waren jedoch ihre Augen, bei deren Anblick mir das Entsetzen Schauder über den Rücken sandte. Übergroße Augen, umgeben von gereizter, eiternder Haut. Drachenaugen.
Drachenaugen, wie ich sie zuvor noch niemals gesehen hatte. Es waren Augen, wie ich sie auch niemals für möglich gehalten hätte.
Das Weiße der Augen dieser Frauen war so dicht von geplatzten, roten Äderchen marmoriert, dass ihre Iriden in Becken von Blut zu schwimmen schienen. Und die Iriden selbst … waren von weißen Punkten übersät. Es war kein reines Weiß, sondern das bläuliche Weiß der Sterne an einem kalten, klaren Winterabend. Dieses blaue Weiß, das man noch einige Sekunden lang vor Augen hat, wenn die Feder eines Himmelswächters wie ein Funkenregen auf der Haut explodiert ist.
Zudem waren sie so unbeweglich wie festgemauerte Steine, diese Augen.
»Hallo.« Eine der Frauen blieb vor mir stehen. Die Luft, die sie ausstieß, duftete nach Gift. Ihre Schneidezähne fehlten. Und ihr langes, schwarzes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. »Du bist also Naji.«
»Das ist sie, Großmutter«, antwortete der Eunuch. »Frisch aus der Vorbereitungszelle.«
»Verstehe.« Ihr Blick bohrte sich in meinen, so wie Felsbrocken im Schlamm am Grund eines Flusses versinken. »Ich bin Makwaivia, das einundvierzigste Mädchen. Aber nenne mich Großmutter.«
Die Frauen bewegten sich lethargisch, bildeten einen Halbkreis vor mir. Der Duft des Gifts, der in diesem Raum hing, wurde stärker, als sie näher kamen. Es waren fünf Frauen. Sie waren alle in blasse Bitoo gekleidet und sahen sich sehr ähnlich.
»Ich bin Sutkabdevia«, murmelte eine. Das siebenundsechzigste Mädchen.
»Kabdekazonvia.« Das zweiundsiebzigste Mädchen.
»Misutvia.« Das achtzigste.
»Prinrutvia.« Das dreiundneunzigste. »Aber bitte, nenn mich Prinrut, wie alle hier. Das ist kürzer.«
Ich starrte sie entsetzt an.
Der Eunuch neben mir schnalzte mit der Zunge. »Weißt du noch, wie dein Name lautet?«
Ich verstand ihn nicht.
»Najivia«, sagte er freundlich. »Das hundertste Mädchen. Vergiss das nicht, heho!« Dann drehte er sich wieder zu den Frauen um. »Ihr zeigt ihr alles, nicht wahr, Mädchen? Ich muss das Mittagsmahl zubreiten. Wartet nur, was heute
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