Im Bann des Fluchträgers
erfuhr ich noch am selben Abend. Wir würfelten bis in den Morgen. Die Sonne ging auf und ich hatte bereits alles verloren, was ich besaß. Aber ich wollte nicht aufgeben. Er lächelte und sagte: ›Du hast nichts mehr, also spiele um dich selbst. Gewinnst du, wirst du die größte Zauberin sein, verlierst du, bleibst du bei mir.‹ Ich lachte und sagte: ›Eher sterbe ich, alter Mann.‹ Und er nickte. ›Dann setzt du also dein Leben?‹ Ich war betrunken vom Wein und nickte. Ich würfelte – und verlor. ›Nun, alter Mann?‹ fragte ich. ›Wie willst du dir mein Leben nun nehmen? Füllst du es in deine Weinflasche?‹ Er streckte seine Hand aus und legte sie über meine Augen. Als ich erwachte, war ich allein. Ich wusste, er hatte sich mein Leben genommen. Doch da ich noch lebte, musste ich wohl noch ein zweites besitzen.«
Ravin schwieg, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihr zu glauben, und der nüchternen Erkenntnis, dass sie eine große Geschichtenerzählerin war.
»Und dein zweites Leben?«, fragte er schließlich.
Ihr Gesicht verdüsterte sich.
»Nun, das zweite habe ich auf ehrliche Art und Weise verloren. Einer von Diolens Kriegern …«
»… hat dich getötet?«
Sie nickte.
»Andere hatten nur ein Leben.«
»Auch dein Bruder, nicht wahr?«, sagte er.
Sie blickte auf, ihr Mund hart wie ein Strich.
»Mein Bruder? Elis allein weiß, wie viele Leben mein armer Bruder hat. Vielleicht nur eins, vielleicht keines mehr.«
Sie sah wieder in die Ferne und ihr Gesicht war so traurig, dass es Ravin ins Herz schnitt.
»Du brauchst den magischen Stein, den Gor, um ihn zu retten, nicht wahr?«
Aminas Gesicht nahm einen gehetzten Ausdruck an.
»Den Gor, ja. Und du brauchst ein Wunder. Und beide wissen wir nicht, wo wir sie finden sollen.«
Mit brennenden Augen starrte Ravin in die Flammen. Und die Flammen blickten zurück! So schnell wuchs die Feuersäule empor, dass Ravin das Gefühl hatte, eine heiße Woge schwappe über seine Haut und versenge ihm jedes Härchen. Dondo machte einen Satz, wieherte und bockte davon.
»Was machst du?«, rief Amina, schüttelte ein paar Funken von ihrem Mantel und brachte sich in Sicherheit. Geblendet blinzelte er und erkannte zwei Augen, die ihn wie Feuerkreise anstrahlten.
»Ravin!«
Najas Stimme klang, als wäre dieses Wort eine Köstlichkeit, die sie sich auf der Zunge zergehen ließ. »Ravin!«, wiederholte sie und wirbelte herum, bis die Marjulablüten in einem Regen blauer Funken aufleuchteten. »Überall habe ich dich gesucht! Bei den Horjun warst du nicht.«
»Du bist hier, Naja?«, staunte er und lächelte.
Sie glühte auf und ließ sich wieder auf den brennenden Ästen nieder.
»Hast du in der Burg gefunden, wonach du gesucht hast?«, fragte sie.
Er nickte und musste über Aminas erstauntes Gesicht lachen.
»Ja. Aber bei den Horjun wollte ich nicht bleiben.«
»Schade«, hauchte Naja. »Wir ziehen jetzt mit ihnen. Sie waren in den Feuerbergen. Jeden Tag habe ich dein Gesicht gesucht. Doch du konntest ja gar nicht dort sein.« Sie stupste eine Blüte mit dem Finger an und beobachtete, wie sie verbrannte. »Aber ich wusste, ich bin deine Namida, und deshalb habe ich dich gesucht.«
»Meine was?«
Amina lachte schallend. Die Nymphe wirbelte herum. Weißgelb wurden ihre Flammen, ihr Haar wechselte von orange zu blau. Enttäuschung und Wut zeichneten sich in ihrem Gesicht ab.
»Oh!«, rief sie aus und fuhr dann Ravin an: »Warum hast du mir nicht gesagt, dass dein Herz schon einer Namida gehört?«
Amina sah ihn an und hob in gespielter Unschuld die Hände. Ravin wurde rot.
»Wo hast du sie gefunden?«, jammerte die Nymphe. »Sie ist kalt wie Stein und blass wie der feuerlose tote Mond. Und ihre Haare sind wie Kohle!«
Aus dem Augenwinkel sah Ravin, wie Amina ihr Lachen hinter der Hand verbarg.
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