Im Bann des Fluchträgers
Bewegung neben sich kaum wahr, als Amina losrannte und sich auf den Horjun stürzte. Mit einem einzigen Griff zog sie Darian aus der Umklammerung des Horjun und schleuderte ihn so heftig aus dem Kampfkreis, dass Darian stürzte und vor Schmerz aufschrie. So schnell, dass weder Ravin noch der Horjun ihre Bewegung verfolgen konnten, hatte sie Badoks Krieger bereits am Handgelenk gepackt. Das Messer in seiner Hand zitterte und fiel zu Boden. Der Horjun sah sie aus schreckgeweiteten Augen an – und selbst Ravin fühlte, wie auch ihn Aminas Anblick erstarren ließ. Was er sah, war eine fremde rachsüchtige Furie mit gefletschten Zähnen und grausamen Augen. Das Haar gesträubt, Mordlust in den Zügen, legte sie ihre Hand auf die Schläfe des Horjun. Schmerz und Überraschung zeichneten sich in seinem Gesicht ab.
»Nein, Amina!«, schrie Ladro und war mit zwei Sätzen bei ihr. In dem Moment, als er ihren Arm packte um sie zurückzuhalten, sackte der Horjun bereits zusammen. Amina fuhr herum und fauchte. Achtlos schleuderte sie den Horjun wie eine Puppe auf das Gras. Wut schien sich knisternd in ihrem gesträubten Haar zu fangen und Ravin sah, dass sogar Ladro blass wurde, als er sich der rasenden Woran gegenübersah. Die Hallgespenster flohen in die Nacht. Sie wird Ladro töten!, schoss es Ravin durch den Kopf. Er handelte ohne zu überlegen.
»Amina!«, rief er leise. Sein Herz raste, vorsichtig machte er einen Schritt auf sie zu und rief noch einmal ihren Namen, freundlich, als würde er sie wecken und sie daran gemahnen wollen, wer sie immer noch war.
Die Woran stand still, die tödlichen Hände, auf denen die Sichelmonde leuchteten, hoch erhoben. Schließlich wandte sich das schattenumwobene Gesicht Ravin zu. Die Glut in den Augen flackerte und verlosch, nach und nach kehrte Amina zurück. Ratlos blickte sie auf ihre Hände, bevor ihr Blick zu Ladro wanderte. Erschrecken und Schmerz zeichneten sich in ihren Zügen ab, dann ließ sie sich auf den Boden sinken und vergrub den Kopf in den Händen.
Ladro schwankte. Mit zitternden Knien ging er an Amina vorbei und drehte den Horjun auf den Rücken.
»Er ist nur bewusstlos«, sagte er. »Ich konnte Darian nicht aufhalten – wir trafen ihn, und bevor ich es verhindern konnte, hat Darian ihn angegriffen. Was machen wir mit ihm? Wenn er den anderen berichtet …«
»Er wird sich nicht erinnern«, antwortete Amina kaum hörbar. »Lassen wir ihn hier, er wird denken, er wurde niedergeschlagen.«
Darian saß immer noch im Gras. Tränen rannen über sein Gesicht.
»Sie sind hier!«, schrie er Ravin an. »Sie sind in Dantar!«
Ravin schluckte. Der Schock saß so tief, dass er die Szene wahrnahm wie durch eine Wasserwand.
»Ich weiß«, sagte er. »Badoks Truppen sind uns vorausgeritten.«
»Verdammt!«, schrie Darian und wischte sich mit dem Ärmel über die Nase. Panik schwang in seiner Stimme mit. »Was tun wir jetzt?«
Das war wieder der zornige Darian, den Ravin von früher kannte.
»Ganz einfach«, sagte Ladro mit fester Stimme. »Ravin und ich gehen nach Dantar und suchen so schnell wie möglich Sumal Baji auf. Zeig mir die Karte, Darian!«
Darian blickte von Ravin zu Ladro, dann nahm er sich zusammen und nickte. Eine helle Strähne fiel ihm in die Stirn. Im Schein des magisches Lichts sah sein Gesicht hell und verletzlich aus und das Haar beinahe golden.
D
ie mächtigen Flügel von Dantars Stadttor waren aus verwittertem Holz. Links und rechts waren sie von zwei steinernen Walen gesäumt, die mitten im Sprung erstarrt zu sein schienen. Ihre schlanken, spitz zulaufenden Fluken ragten in den Himmel. Als er das Tor durchschritt, bemerkte Ravin, dass sich uralte Flechten an den geöffneten Flügeln des riesigen Tores emporrankten. Offensichtlich war Dantar eine Stadt, die
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