Im Bann des Fluchträgers
ihr ganzes Werkzeug verloren. Und ihr Schiff.« Er seufzte. »Hat viele getroffen. Heute arbeitet sie als Snaifischfängerin. Lässt bei mir ihre Ruder reparieren.«
Ravin versuchte sich die Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
»Und wo finden wir sie?«
Der Mann sah sie wieder an, als würde er überlegen, ob er ihnen Auskunft geben sollte.
»Kommt drauf an. Was wollt ihr von ihr?«
»Wir haben eine Nachricht für sie.«
»Ihr habt es eilig, was?«
Ladro und Ravin nickten und hielten den Atem an.
Der Mann kratzte sich am Kopf. Offensichtlich entschied er sich dafür, den Fremden in den Dantar-Gewändern zu vertrauen.
»Heute trefft ihr sie vielleicht im Singenden Wal. Aber bis ihr dort seid … nein. Geht lieber gleich zum Seilermarkt.«
Er deutete an den Schiffen vorbei.
»Da entlang, bis ihr zum Seilerbaum kommt. Und dann fragt nach der alten Lagerhalle. Das ist das Haus mit dem Fisch an der Tür.«
»Danke«, sagte Ravin. Der Mann zuckte mit den Schultern und drehte sich abermals zum Gehen um.
»Wenn ihr Sumal seht, sagt ihr, ihre Ruder sind fertig.«
Sie sahen ihm nach, bis er wieder in die Gasse abbog, in der seine Boote aufgebockt standen, dann gingen sie in die angegebene Richtung.
Die schwarzen Schiffe ragten noch viel höher neben ihnen auf, als sie daran vorbeigingen.
»Denkst du das, was ich denke?«, fragte Ladro, als sie vor dem letzten Schiff stehen blieben und es betrachteten.
Ravins Herz schlug schneller.
»Ich denke«, sagte er, »dass es Diolens Schiffe sind.«
Ladro nickte.
Schweigend und mit düsteren Gedanken setzten sie ihren Weg fort. Schließlich mündete die schmale Gasse auf einen runden Platz. Die Pflastersteine waren glatt getreten und schimmerten im Mondlicht.
In der Mitte des Platzes ragte ein Holzpfahl in den Nachthimmel. Früher mochte er ein Marjulabaum gewesen sein, doch jetzt war seine Krone abgehauen und die Rinde geschält. Als sie näher traten, entdeckten sie, dass sich über den ganzen Stamm ringförmige Rillen zogen. Im Vorübergehen streifte Ravin eine davon mit den Fingern. Das Holz fühlte sich seidenweich und glatt an, ein Prickeln schauerte durch seine Hand. Mit einem raschen Lächeln zog er die Hand wieder zurück.
»Wir sind beim Seilerbaum«, flüsterte Ladro. Vorsichtig blickten sie sich um.
Vom Meer wehte der Geruch von Fisch und gärenden Algen zu ihnen herüber. Ravin ging zu den Häuschen und suchte nach dem Zeichen an der Tür. Vor einem schmalen, lang gezogenen Haus blieb er stehen. Die Fischzeichnung war klein und verwittert, aber immer noch gut sichtbar.
»Ladro«, rief er leise. »Hier!«
Ladro hastete zu ihm und strahlte, als er das Fischzeichen sah.
»Elis sei Dank, wir haben sie gefunden«, sagte er aus tiefster Seele.
Ravin klopfte an die Tür. Mit angehaltenem Atem warteten sie, aber niemand erschien. Noch einmal klopften sie, diesmal heftiger, doch nichts rührte sich.
Ladro seufzte und ließ sich auf einem Haufen Seile nieder. Ravin setzte sich ebenfalls auf die Taue, lehnte sich mit dem Rücken an die Hauswand und zog sein Tuch fester um sich. Ab und zu hallten Schritte durch die Nacht, näherten sich in einer der Gassen und verhallten in einer anderen. Die Brise, die vom Meer wehte, ließ Ravin und Ladro schon nach kurzer Zeit frösteln und sie rückten noch etwas näher zusammen. Ravin spürte, wie ihm die Erschöpfung in die Glieder kroch. Dennoch war er wach und so aufgeregt, dass er nicht hätte schlafen können. Ladro neben ihm war ruhig, trotzdem merkte Ravin ihm an, er war ebenso ungeduldig wie er. Sein schwarzes Haar war inzwischen so lang, dass er es zusammengebunden hatte. Eine Strähne fiel ihm über die Wange. Er sah noch ernster aus als sonst. Ravin wusste, worüber er nachdachte.
»Wir müssen mehr über diese Schiffe erfahren«, sagte Ladro
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