Im Bann des Fluchträgers
Stimme, die Ravin erschreckte, weil sie ihm so vertraut war. Schemenhaft blitzte ein rundes Gesicht in seiner Erinnerung auf.
»Ruk?«
»Es ist Galo Bor! Galo aus Skilmal! Schwerter runter!«
Der andere Reiter gehorchte. Unwillkürlich ließ auch Ravin das Schwert sinken und stand auf. Sein Gegner setzte sich auf und rieb sich den Hals. Langsam ließ Ruk sich vom Rücken seines Pferdes gleiten, nahm den Helm ab und lächelte schief.
»Ich habe also nicht geträumt, als ich dich in Dantar sah, kleiner Bruder«, sagte er. »Wie kommt es, dass du wieder bei den Horjun bist?«
»Wie kommt es, dass ihr einen Horjun angreift?«
Ruks Gesicht verdüsterte sich. Ravin bemerkte, dass der Horjun, der noch auf dem Pferd saß, besorgt nach etwas Ausschau hielt.
»Wir dachten, sie hätten dich – oder euch – geschickt um uns zu töten.« Sein Blick flackerte. »Du bist allein, Galo?«
Ravin nickte.
»Warum sollten sie Horjun schicken um Horjun zu töten?«
Ruk senkte den Kopf und schluckte. Ravin sah, dass er sehr schwach war.
»Wir sind geflohen, Galo. Sie jagen uns.«
Ravins Gedanken überschlugen sich. Ruk und die anderen gehörten nicht länger zu Badoks Truppen?
»Wir müssen weiter«, drängte der zweite Reiter. »Lass ihn hier oder nimm ihn mit. Wir haben keine Zeit!«
»Wohin wollt ihr?«, fragte Ravin.
Die beiden Horjun schwiegen.
»Weg von der Burg«, antwortete Ruk. »Zur Grenze und dann zurück nach Skaris.«
Der zweite Horjun stöhnte und griff sich an die Schulter. Blut tränkte seinen Mantel.
»Far ist verletzt«, sagte Ruk zu Ravin. »Aber wir können nicht bleiben. Sie werden uns finden und töten.«
»Ihr müsst wenigstens seine Wunde verbinden«, sagte Ravin. »Steigt ab, es ist niemand in der Nähe, ich werde euch zeigen, wie ihr aus dem Wald hinausfindet.«
»Du kennst dich in diesen Wäldern aus?«
Ravin nickte und half dem Verletzten vom Pferd. Gemeinsam brachten sie ihn ins Unterholz zu einer Tanistanne. Ravin nahm die Pferde, führte sie zwischen die Stämme und zog die unteren Zweige so tief hinunter, dass die Pferde kaum noch zu erkennen waren. Mit einer Hand voll Kräutern kehrte er zu Ruk und den anderen zurück. Schweigend beobachteten sie, wie er die Stängel zu einem Seil drehte und mit dem Messer so lange daran herumschabte, bis grüner Saft auf die Schulterwunde tropfte. Far wurde bleich und schloss die Augen.
»Das wird die Blutung stillen. Ihr werdet mehrere Stunden reiten können.«
Ruk sah ihn erstaunt an.
»Galo Bor, lernt man das in Skilmal?«
Ravin schüttelte den Kopf. Es tat ihm weh, die Angst in Ruks Augen zu sehen. Und aus irgendeinem Grund schämte er sich dafür, Ruk anzulügen.
»Mein Name ist nicht Galo«, antwortete er. »Und ich stamme nicht aus Skilmal. Ich heiße Ravin und bin ein Waldmensch aus diesem Tjärgwald. Ich bin auf dem Weg zur Burg.«
Ruk vergrub das Gesicht in den Händen. Ravin erschrak, als er sah, wie seine Schultern anfingen zu beben, und er glaubte ein Schluchzen zu hören. Doch als Ruk nach wenigen Augenblicken die Hände herunternahm und sich über die Augen wischte, sah Ravin, dass er lachte.
»Nichts ist so, wie es ist«, sagte Ruk. »Galo ist nicht Galo, die Seelenlosen sind keine Seelenlosen – und die Hexe, das schwöre ich, ist keine Hexe.« Sein Lachen erlosch. »Du musst alles tun um deine Familie zu schützen«, sagte er. »Ravin, Galo, wer immer du auch bist. Ein ungleicher Kampf erwartet euch.«
Ravin nahm Ruk bei den Schultern. Der müde Blick fand seinen.
»Was?«, fragte Ravin, so eindringlich er konnte. »Was ist geschehen? Wieso sind die Horjun schon in der Burg? Warum verfolgen sie euch?«
Ruk lächelte.
»Es sind keine Horjun in der Burg.«
»Aber gestern war die Burg bereits eingenommen. Ich habe es selbst gesehen!«
»Ja, du hast Recht, Galo Ravin. Wir kamen mit den Schiffen.
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