Im Bann des Fluchträgers
ernst und wischte die Zeichnung mit einer geübten Handbewegung weg. Graue Schlieren blieben auf dem Stein zurück.
»Entschuldige bitte«, murmelte Ravin beschämt. »Ich habe schlecht geträumt. Ich wollte dich wirklich nicht beleidigen … Sella.«
Sie nickte ohne ein Lächeln. Hinter dem schwarzen Waldstreifen wurde der Himmel bereits hell.
V
erdammt, verdammt, verdammt!«, schrie Darian. »Sie lacht einfach nicht! Sie ist wie eingefroren!«
Ravin kannte diese plötzlichen Anfälle von Verzweiflung inzwischen nur zu gut. Das Verhalten seines Freundes verwunderte ihn – Ravin zog es vor, sich im fremden Wald leise zu verhalten, um keine Ranjögs oder Schlim meres auf sich aufmerksam zu machen. Doch Darian schien alle Vorsicht zu vergessen. In den vergangenen Tagen hatte er sich mit einer wahren Besessenheit um Sella bemüht. Manchmal wenn ein Anflug von Ärger Ravin missmutig stimmte, kam es ihm vor, als hätte Darian den Grund ihrer Reise völlig vergessen. Er wusste, diese Gedanken waren ungerecht, doch konnte er nicht anders, wenn er beobachtete, wie Darian versuchte das Mädchen dazu zu bewegen, nur ein einziges Mal zu lächeln. Ravin dachte sich, dass sie selbst auch keinen Grund zum Lachen hatten. Seit Tagen ritten sie durch den Wald. Nichts, nicht einmal Spuren von Waldmenschen, deutete darauf hin, dass sich jemand im Grenzgebiet aufhielt. Auf diese Weise konnten sie Skaardja nicht finden. Ehe sie sichs versahen, würden sie mitten in Skaris sein.
Wenn der Ärger zu sehr an ihm nagte, nahm Ravin seine Steinschleuder und tauchte im dichten Wald unter. Er erbeutete Hasen und suchte nach Früchten und dem wenigen essbaren Grün, das so früh im Jahr schon wuchs. Einmal hörte er den dumpfen Galopp von Ranjögs und wartete mit klopfendem Herzen, in der Hoffnung, dass sie ihn nicht wittern würden. Er bekam sie nicht zu Gesicht, doch der Waldboden erzitterte unter ihrem Gewicht. Noch lange nachdem das letzte Ranjög weitergezogen war, kauerte Ravin angespannt und bewegungslos hinter einer Tanne.
Alleine mit seiner Sorge um Jolon hatte er es sich angewöhnt, abends mit Vaju nach Pfaden und Hinweisen auf Menschen zu suchen, während Darian und Sella am Feuer blieben. Schweren Herzens bemerkte er, wie sich sein Freund immer mehr um das Mädchen kümmerte.
»Sie war nicht immer verrückt«, hatte Darian ihm erklärt. »Ein schreckliches Erlebnis muss ihr den Verstand geraubt haben – oder ihn in irgendeinen dunklen Winkel ihres Bewusstseins gescheucht haben wie ein Tier auf der Flucht. Bestimmt kommt sie wieder zu sich!«
Manchmal legte Darian ihr vorsichtig die Hand auf die Stirn – eine Geste, die sie sich zu Ravins Erstaunen gefallen ließ – und sprach einige Worte in der Hoffnung, sie aus ihrer Verwirrung zurückzuholen. Und jetzt stand Darian am Waldrand und schrie: »Verdammt, verdammt, verdammt!«
Ravin legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Es hilft ihr nicht, wenn du fluchst.«
»Ich weiß, ja. Aber ich kann es nicht begreifen. Sie ist so jung – und ihr Gesicht so alt und traurig. Ich will nur, dass sie wieder fröhlich sein kann. In ihrem Inneren scheint sich ein schreckliches Bild festgeklemmt zu haben, das sie ständig vor Augen hat, anstatt zu sehen, wie die Welt wirklich ist«
»Die Welt ist nicht nur schön«, sagte Ravin leise. Er hatte nicht vorgehabt seinem Freund einen Vorwurf zu machen, doch nun ertappte er sich dabei, dass Bitterkeit in seiner Stimme mitschwang.
Darian sah ihn verwirrt an. Ravin wollte sich auf die Zunge beißen, aber zu seiner eigenen Überraschung sprudelten die Worte wie von selbst aus ihm heraus.
»Kein einziges Mal, seit Sella bei uns ist, hast du dich nach Jolon erkundigt. Und dass wir Skaardja mitten im Wald kaum finden werden, ist dir
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