Im Bann des Fluchträgers
Feuer brach. Funken stoben in die dunkle Nachtluft. Jerrik blickte düster in die Glut, dann hob er die Hand.
»Wer erzählt von Tarik und Sella? Ich bin müde davon zu reden.«
Erstaunt sah Ravin, wie das Gesicht des alten Kriegers im Feuerschein mit einem Mal verhärmt und traurig wirkte.
»Ich«, sagte Mel Amie mit ihrer nüchternen Stimme. Sie seufzte und rieb sich die Augen, als wollte sie einen alten Schmerz verscheuchen.
»Ihr müsst wissen, Jerrik hatte einen Sohn. Wenige Monde ist es her, seit er starb. Er hatte gerade sein erstes Banty gefangen und gezähmt. Amina reitet es jetzt. Tarik und Sella waren unzertrennlich.«
Jerrik starrte gedankenverloren zu den Bäumen, die sich schwarz gegen den Nachthimmel abhoben. Er schien die Worte nicht zu hören, doch Ravin sah die angespannten Sehnen an seinem Hals und wusste, dass Jerrik litt.
»Zur gleichen Zeit zogen fremde Reiter durch unseren Wald. Es stellte sich heraus, dass es ein Teil des Badok-Clans aus Skaris war. Jerrik kannte Badok in seiner Jugend, als wir noch im Landesinneren lebten. Diolen, Badoks Sohn, war es, der sich in unseren Wald vorgewagt hatte. Angeblich war er auf der Jagd nach Martiskatzen. Anfangs wichen wir ihm und seinen Kriegern nicht aus. Wir duldeten sogar, dass Diolen im Nordteil des Waldes jagte, und schworen Frieden. Was wir nicht bemerkten: Tarik und Sella ritten häufig in diesen Teil des Waldes und sie wurden beobachtet. Nach allem, was wir heute wissen, versuchte Diolen sich ihr zu nähern und ihr Herz zu gewinnen. Doch natürlich wies sie ihn ab. Eines Tages kamen sie und Tarik nicht zurück ins Lager. Ich fand Sella am Abend. Sie war stumm und starrte auf ein Messer, das in einer Tanne steckte. An dem Messer klebte Blut. Tarik fanden wir nicht. Bis heute wissen wir nicht, was mit ihm geschehen ist. Sella hat seitdem nie wieder gelacht. Wenige Tage später griffen die Badok uns an – ohne Grund. Seitdem herrscht Krieg.«
Darian war erschüttert. Sogar im Feuerschein konnte Ravin sehen, dass er blass geworden war.
»Das ist schlimmer, als ich gedacht habe«, sagte er tonlos in die Stille. »Kein gebrochenes Herz rechtfertigt Mord und Krieg.«
Mel Amie seufzte.
»Seit dem Tag, an dem Sella ohne ihr Lächeln aus dem Wald zurückkehrte, verbergen wir jedes Messer vor ihr. Es erschreckt sie.«
Amina sah Darian an.
»Du hast ihr Vertrauen, Darian. Das ist viel wert.«
Sie lächelte Darian aufmunternd zu und Ravin entdeckte, dass ihr Gesicht auch sanft und verletzlich aussehen konnte. Ladro schwieg.
»Nun, genug der traurigen Geschichten für heute«, meinte Jerrik. Seine Stimme klang brüchiger denn je. »Unsere Gäste sind müde. Amina wird euch zeigen, in welchem Zelt ihr schlafen werdet.«
In wenigen Augenblicken hatte sich die Versammlung aufgelöst. Amina sprang auf und klopfte sich Flugasche vom Mantel. Verwundert über die abrupte Beendigung der Unterredung standen Ravin und Darian auf und folgten Amina, die mit schnellem Schritt vorausging. Neben einem Zelt blieb sie stehen.
»Das ist eines der Vorratszelte. Mel Amie hat es ausräumen lassen. Drinnen findet ihr Felle und Decken, denn gegen Morgen wird es kühl. Ich hoffe, Elis schickt euch schöne Träume!«
»Auch dir gute Träume«, murmelte Ravin und nahm sich vor sie zu fragen, wer Elis sei.
»Gute Träume«, sagte auch Darian, seine Stimme klang müde, und ein wenig traurig. Nachdenklich blickten sie Amina nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden war. Dann krochen sie in das Zelt.
Darian seufzte.
»Was hältst du davon?«, flüsterte er nach einer Weile. Ravin hatte diese Frage erwartet.
»Ich weiß noch nicht«, antwortete er. »Ich habe das Gefühl, dass sie es ehrlich meinen. Trotzdem glaube ich, dass sie uns irgendetwas
Weitere Kostenlose Bücher