Im Bann des Fluchträgers
auf.
»Die Sonne geht auf«, flüsterte er und lächelte Ravin zu. Schweigend sahen sie sich an. Darians Lächeln versiegte. Unter den Bäumen erwachten die Menschen im Lager wie auf einen geheimen Befehl hin, setzten sich auf und lauschten. Unwillkürlich tastete Ravin nach den Lederriemen seiner Schleuder. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie die Krieger sich langsam erhoben. Amina tauchte neben Ravin und Darian auf, mit gezogenem Schwert, die blauen Augen groß und wachsam. Sie hörten es alle – und hörten es nicht: Kein Vogel sang an diesem Morgen, auf der Lichtung war es totenstill.
Die Faust hämmerte immer lauter gegen Ravins Brustkorb. In Darians Gesicht spiegelte sich eine Ahnung, die noch keine Gestalt angenommen hatte. Instinktiv begannen die Krieger rückwärts zu gehen, bis sie mit dem Rücken zueinander standen. Im Unterholz knackte es.
»Die Waffen!«, brüllte Jerrik und riss sein Schwert hoch. Die ersten Strahlen der Morgensonne blitzten rot in der erhobenen Klinge, eine makabre Ahnung von Blut, die Ravin einen Schauer über den Rücken jagte.
»Tod Badok!«, schrie Jerrik.
»Tod Jerrik!«, kam die Antwort aus Hunderten von Kehlen. Ravins Herz machte einen Satz. Nicht einmal einen Atemzug später war er auf den Beinen, die Schleuder in der rechten Hand, das Kurzschwert in der linken. Flüchtig erhaschte er einen Blick auf Darians vor Entsetzen weit auf gerissene Augen und Aminas bleiches und konzentriertes Gesicht, als sie sich neben ihn stellte, Schwert und Schild gezückt. Dann brach der Sturm los.
Unzählige waren es. Sie preschten aus dem Wald auf die Lichtung. Ihre Pferde waren riesig und wutschnaubend, Dornengeflecht schmückte die Mähnen. Mit Hufen, die pfeilschnell und mit messerscharf geschliffenen Eisen beschlagen waren, hackten sie Farne und Wurzelwerk entzwei. Sie donnerten heran wie eine gewaltige Woge aus Dornen, Eisen und gefrorenem Atem.
»Auf die Pferde!«, brüllte Jerrik. Schon war er auf sein Banty gesprungen und galoppierte den Reitern entgegen. Ravin fühlte, wie ihn jemand in die Rippen stieß und rannte im nächsten Augenblick an Aminas Seite zu den Pferden. Im Laufen blickte er sich nach Darian um. Er leichtert sah er, dass sein Freund sich bereits auf Dondos Rücken geschwungen hatte und Ladro und dessen Banty folgte. Vaju bäumte sich auf, als ein Pfeil ihre Mähne streifte, doch trabte sie sofort auf Ravin zu, als sie ihn sah.
»Runter!«, schrie Amina hinter ihm. Sie warfen sich auf das nasse Gras. Pfeile zischten über ihre Köpfe hinweg. Dann war Vaju über ihnen, tänzelte, zertrat einen der Pfeile. Schwerterklirren und Schreie überall. Mit einem Satz war Ravin auf Vajus Rücken, lenkte sie nur mit Knien und Stimme. Er sah, dass Amina ihr Banty erreicht hatte und bereits mit gezücktem Schwert wartete. Die Schleuderriemen brannten in seiner Hand. Aminas Augen glänzten wie im Fieber, sie starrte auf zwei dunkle Reiter, die auf sie zugedonnert kamen. Ein Wink von ihr und Ravin hatte verstanden.
Gleichzeitig preschten sie los, den Reitern entgegen. Aminas Haar flog wie ein Rabe, dessen schwarze Flügel bei jedem Galoppsprung auf und ab schlugen. Ravin duckte sich tief über Vajus Hals und folgte ihr. Einer der Reiter hatte sie erspäht. Er griff an, die messergleichen Hufe des Pferdes wirbelten in einem Regen von Erdbrocken und zerschnittenen Zweigen auf sie zu. Vaju machte einen Satz nach links, als die Schwertklinge niederfuhr, doch Ravin trieb sie weiter. Amina hatte den Schlag pariert. Nun kam Ravin heran und schwang seine Schleuder – ein gezielter Wurf schlug dem schwarzen Reiter das Schwert aus der Hand.
Amina holte aus und stieß den Reiter mit der flachen Klinge vom Pferd. Der Badok-Krieger fiel – doch im Fallen sah er hoch.
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