Im Bann des Fluchträgers
in ihrem Land leben Seelenlose, Gramol!«
Der Wächter, der Gramol hieß, zuckte die Schultern.
»Seelenlose, aha. Und was sind die Staubgesichter hier? Na, ich bin auf jeden Fall froh, wenn sie dorthin zurückgeschickt werden, wo sie hergekommen sind.«
Noch einmal prosteten sie sich zu und gingen zum Tisch, wo sie ihre Becher abstellten und ein paar Münzen auf die Holzplatte warfen. Ravin versuchte ihnen zu folgen, doch plötzlich schlug ihm stinkender Atem ins Gesicht. Ein riesiger, alter Horjun hatte sich vor ihm aufgebaut.
»Wen suchst du?«
Ravin schluckte, als er in das bärtige Gesicht sah.
Er war ein Diener, erinnerte er sich, also senkte er den Blick und antwortete leise:
»Gramol, Herr. Ich hatte ihn hier entdeckt.«
Der Horjun lachte dröhnend.
»Ach, runter zu den Gefängnissen willst du?«
Ravin nickte.
»Morgen reiten wir, mein Junge«, sagte der Horjun. »Und niemand geht heute an Skil vorbei ohne mit ihm zu trinken!«
»Ja, Herr«, erwiderte Ravin.
Der Horjun grinste und drückte ihm einen Becher in die Hand.
»Ein Leben ohne Kvirinns Fluch!«, donnerte er.
»Ein Leben mit Nagsiks Segen«, antwortete Ravin zaghaft. Er schien richtig geantwortet zu haben, denn der Horjun lachte brüllend und schüttete den Wein in einem Zug hinunter. Ravin nahm einen Schluck. Sauer und köstlich war das Getränk. Nach dem langen Tag war er dankbar für diese Stärkung. Dennoch – er musste sich beeilen. Er stellte den Becher ab und dankte. Als er weitergehen wollte, hielt Skils riesige Pranke ihn zurück.
»Hast du zu viel Wein getrunken, Jungchen?«, donnerte er. »Da hinten geht’s lang!«
Ravin wandte sich um und verließ die Schänke in der entgegengesetzten Richtung. Er eilte den Gang entlang, doch Gramol und sein Gefährte waren bereits verschwunden. Aber zumindest war er auf dem richtigen Weg! An der nächsten Biegung blieb er stehen. Auf dem Gang unterhielten sich ein paar Diener. Ravin stellte sich in den Schatten einer Nische und wartete. Als der letzte Schritt verklungen war, machte er sich lautlos wie ein Schatten auf den Weg und glitt die Treppen hinunter, dorthin, wo die Gefängnisse sein mussten.
Als im Halbdunkel plötzlich die Frau vor ihm um die Ecke bog, glaubte er ein Gespenst zu sehen, so ähnlich sah sie mit den langen, silberweißen Haaren und den blauen Augen der Bergshanjaarstochter Elis. Und so lautlos war sie aufgetaucht, dass nicht einmal Ravin sie hatte kommen hören. Die weißen Haare leuchteten im schwachen Schein der Fackel. Sie trug ein helles Gewand und hielt einen Tonkrug im Arm. Ruckartig war sie stehen geblieben und musterte Ravin so erschrocken, als wäre er ein Gespenst. Ravin überlegte, wie er sie daran hindern sollte, zu schreien. Seine Finger spannten die Sehnen der Schleuder. Schon hatte er die weiche Stelle an ihrer Schläfe ausgemacht. Ein kleiner Schlag würde genügen um sie zu betäuben. Doch zu seiner Überraschung breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Im nächsten Augenblick fand er sich in ihrer Umarmung wieder. Mit einem dumpfen Laut zerschellte der Tonkrug auf dem Steinboden.
»Ravin!«, flüsterte das Mädchen. Silberweißes Haar kitzelte sein rechtes Ohr. Verwirrt schob er die Fremde von sich. Die Stimme …
»Ich dachte, wir würden uns nie wieder sehen.«
Er wich ein paar Schritte zurück. Verwunderung sprach aus ihrem Gesicht, dann lachte sie, als sei ihr plötzlich etwas eingefallen.
»Entschuldige«, sagte sie und trat zu ihm. »Ich habe es einfach schon vergessen!«
Sie hob die Hand über seine Augen, und als sie sie wieder senkte, stand vor ihm – Amina. Hagerer war sie und offensichtlich erschöpft, als wäre sie viele Tage ohne Schlaf geritten.
»Amina!«, flüsterte er – und diesmal fühlte er bei ihrer
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