Im Bann des Fluchträgers
es ihm, ein Pferd aus einem anderen Stall zu bekommen, der weit von der Stelle entfernt war, wo Vaju und Dondo sich befanden. Es stimmte ihn traurig, wenn er sich vorstellte, wie die Pferde auf Hilfe warteten, gefangen von einem Zauber, der so mächtig war, dass er sogar fließendes Wasser zu halten vermochte.
Abends saß er mit müden Knochen mit Ruk zusammen und lernte viele Dinge über die Burg.
Eines Morgens weckte Bor die Horjun besonders früh. Ihnen wurde befohlen, ihre Ausrüstung in Ordnung zu bringen und Bor in die Halle der Gesänge zu folgen.
Die Horjun betraten schweigend den Raum und ließen ehrfürchtig ihre Blicke über das polierte Holz wandern. Diesem Saal sah man nicht an, dass er mitten in den Felsen gehauen war. Alles, Wände, Decke und ein Teil des Bodens, war mit Marjulaholz getäfelt, das im Feuerschein rötlich und warm leuchtete. Intarsien aus Perlmutt zeigten Szenen aus dem Wald- und Dorfleben und höfische Feste, die Ravin nur aus Märchen kannte. Der Fackelschein ließ die Ecken des Raumes düster flackern – und wieder, wie so oft, glaubte Ravin Najas Gesicht in einer Fackelflamme aufleuchten zu sehen. Etwa hundert Horjun drängten sich inzwischen im Raum, scharrende Stiefel erfüllten die Halle mit dem scharfen Klicken von Eisen auf Stein. Die Wände warfen das Echo zurück. Als Ravin die Stimme von Bor vernahm, die in diesem Raum laut und ungewohnt melodisch klang, wurde ihm klar, warum man diesen Raum die Halle der Gesänge nannte.
Das Scharren verstummte, als Diolen den Raum betrat.
Ravin erkannte ihn, noch bevor er in sein Gesicht geschaut hatte. Er war groß und bewegte sich mit Anmut. Man hätte ihn für einen der jungen Horjun halten können, für einen Shanjaar, vielleicht auch für einen Gesandten. Die kühle Ruhe, die ihn umgab, strahlte Macht und Stolz aus. Der gemessene Gang war so leicht, dass sein Silbermantel sich kaum bauschte. Schaudernd erinnerte sich Ravin an das Gesicht des Reiters auf der Lichtung. In dieser Halle erschien er Ravin weniger dämonisch. Diolen wandte sich um. Die geschwungenen Lippen hätten zu einem Sänger gepasst, aber das Lächeln, zu dem sich Diolens Mund für eine kurzen Moment verzog, war nicht freundlich. Da war es wieder, das Gesicht, das Sella in den Wahnsinn getrieben hatte. Und diese sanfte und krallenbewehrte Stimme rief die Erinnerung an den Kampf wieder wach. Ravin riss seinen Blick von Diolen los und starrte auf seine Stiefelspitzen. Ihm war übel, für einen Moment glaubte er den Staub zwischen seinen Zähnen zu schmecken, wie damals als er Sella zu Boden gedrückt hatte. So real holte ihn die Erinnerung wieder ein, dass er beinahe den Mann an Diolens Seite übersehen hätte, der mit ihm den Raum betreten hatte. Jerrik!
Doch schon im nächsten Moment erkannte er, dass es eine Täuschung war. Der Mann war kleiner und drahtiger als Jerrik, er hatte buschige Augenbrauen und schneeweißes Haar. Es musste Badok sein. Nun erhob er beide Arme zum Horjun-Gruß – und auch diese Geste erinnerte an die Art, wie Jerrik einen gewichtigen Satz unterstrich. Ravin war irritiert.
»Horjun!«, sprach er. Seine Stimme klang verhalten, aber so deutlich, dass man sie in jedem Winkel des Raumes hören konnte.
»In den vergangenen Tagen habt ihr viel gelernt. Doch noch lange nicht genug für die schreckliche und schwere Aufgabe, die euch erwartet: ein Krieg, den zuvor noch kein Mensch führen musste, gegen einen Gegner, so gefährlich, wie ihn unsere Seher sich nicht grausamer ausmalen könnten. Morgen werdet ihr in die Feuerberge gehen und euren Schwur leisten. In wenigen Tagen ziehen wir in das besiegte Land. Denn die Herrscherin dieses Landes will Skaris zerstören. Ihren Untertanen hat sie bereits
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