Im Bann des Fluchträgers
Umarmung schwarze, widerspenstige Locken an seiner Wange. Vor Freude hätte er am liebsten geweint. Amina zog ihn in einen Seitengang, wo sie ungestört waren. Ravin spürte ihre kräftigen, warmen Finger in seiner Hand – und die Mondmale, aber diesmal hatte keine Angst vor ihnen.
»Wie lange bist du schon in der Burg?«, fragte sie.
Ravin schilderte ihr so knapp wie möglich seinen Weg durch das Felsgestein und seine Begegnung mit der Feuernymphe. Von ihrem Kuss erzählte er nichts, sondern beschrieb die Tage, die er als Horjun verbracht hatte. Was er ihr verschwieg, war der Anblick des seelenlosen Kilmen. Sofort schämte er sich für diese Feigheit, doch beruhigte er sich damit, dass er es ihr in Ruhe erklären würde, wenn Zeit wäre.
Amina hatte ihm ernst zugehört.
»Sie wollen also Tjärg überfallen«, sagte sie. Keine Regung war aus ihrer Stimme zu hören.
Ravin schluckte und nickte.
»Und zwar sehr bald. Ich muss Darian finden. Wir müssen so schnell wie möglich zurück!«
»Aber warum will Badok das tun?« Ihre Stimme zitterte.
»Wenn ich das wüsste, Amina. Und du? Wie bist du hierher gekommen?«
Sie lächelte abwesend.
»Auf dem Steilweg über den Pass. Ich bin noch zwei Tage geritten. Dann träumte ich von einem Mädchen. Sie heißt Kjala und ist ein Küchenmädchen. Ihre Gestalt hast du eben bewundern können. Nun, es war nicht schwer, ihr so lange zu folgen, bis ich ihre Gestalt träumen und annehmen konnte. Kjala ahnt nicht, dass sie in der Burg zweifach existiert. Ich habe herausgefunden, wo sich die anderen befinden müssen.«
»Im Gefängnis, irgendwo am Ende der Gänge hier?«
»Ja, du weißt es auch?«
Aus seinem Lederbeutel holte er einen spitzen Eisenspan, den er aus der Waffenkammer der Horjun mitgenommen hatte, nahm eine größere Tonscherbe vom Gang und begann darauf einen Lageplan zu ritzen.
»Hier sind wir«, erklärte er und zog drei Linien. »Das sind die Seitengänge. In einem davon befindet sich das Gefängnis.«
»Genau«, bestätigte Amina. »Vermutlich ist es der dritte Gang. Wir müssen die Wachen betäuben. Ich war auf dem Weg, noch einige Dinge dafür zu besorgen.«
»Gut, holen wir sie gemeinsam.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das geht nicht. Ich … das heißt, Kjala macht einen Botengang. Es würde auffallen, wenn ich plötzlich einen Begleiter hätte. Spätestens morgen werden sie dich suchen, und wenn du willst, dass man glaubt, du seist geflohen, bleibst du besser dort, wo du nicht auffällst.«
»Was ist, wenn Kjala und du euch begegnet?«
Amina lachte leise.
»Das ist unmöglich. Kjala schläft einen sehr tiefen Schlaf, wenn ihr zweites Ich Erkundungen einholt.«
Ravin hatte das Gefühl, er sollte nicht weiter nachfragen.
»Keine Sorge, Ravin. Warte auf mich. Heute Nacht bin ich wieder hier. Ich zeige dir, wo eine kleine Kammer ist, die als Lagerraum für Leder und Stoffe dient. Dort wird dich niemand suchen.«
Wieder legte sie die Hand über seine Augen, und als sie sie fortnahm, stand vor ihm dieses fremde, schöne Mädchen mit dem Silberhaar. Er folgte ihr zu dem Raum und schlüpfte in die Dunkelheit der fensterlosen Kammer.
»Bis später«, flüsterte Amina und schenkte ihm Kjalas Lächeln.
Er musste tatsächlich in die Welt der Träume geblickt haben, denn er glaubte Laios’ besorgtes Gesicht zu sehen, bevor ihm klar wurde, dass er mit dem Rücken am kalten Stein lehnte. Fackelschein tanzte hinter seinen Lidern.
»Bist du der Gefangene?«, fragte eine Stimme, die aus Rauch und Regen zu bestehen schien.
Ravin öffnete die Augen und blickte in das Gesicht eines Erloschenen. Neben ihm standen der Kerkerwächter Gramol und ein riesenhafter Gehilfe. Dieser lächelte Ravin schäbig an und streckte ihm eine schaufelartige Hand
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