Im Bann des Fluchträgers
die Seelen geraubt. Willenlos und ausgehöhlt wie faulige Baumstämme folgen sie ihren Befehlen. Auch uns will sie zu ihren seelenlosen Sklaven machen.« Er machte eine Pause. Die Horjun verharrten stumm. Manch einer bemühte sich offensichtlich darum, sich die Angst nicht anmerken zu lassen.
»Ihr werdet schreckliche Dinge sehen«, fuhr Badok fort.
»Doch die Krieger aus dem Lande Run werden euch beistehen.«
Er nickte einer Gruppe von Erloschenen zu, die in der Mitte der Halle standen. Bleich vor Zorn krampfte Ravin seine Hand um das Schwert. Die Lüge trieb ihm Tränen der Wut in die Augen.
»Nun«, ergriff Diolen leise das Wort, »werden wir euch zeigen, was die Hexe mit uns vorhat. Mit euren Müttern, Vätern, Schwestern, euren Freunden, Kindern und allen, die euch lieb sind! Eine dieser unglücklichen Kreaturen versuchte aus Tjärg zu fliehen – und beinahe wäre es ihr gelungen. Aber der dunkle Arm der Hexe erreichte den Mann noch an den Grenzen zu Skaris. Seht selbst!« Seine Stimme hatte den Klang dumpfer Trauer angenommen. Er und Badok traten einen Schritt zurück und gaben den Blick frei auf einen Wärter, der einen Gefangenen hereinführte. Zumindest wirkte er auf den ersten Blick wie ein Gefangener, doch als Ravin genau hinsah, erkannte er, dass der Wärter ihn lediglich führte wie ein Tier an der Leine. Willenlos folgte der große Mann dem Wärter und blieb stehen, als er ihn mit der Hand anhielt. Sein Mund stand offen, die Augen glotzten blicklos, Speichel troff ihm aus dem Mund, was er nicht zu bemerken schien. Auch dieser Mann kam Ravin bekannt vor, doch war es sicher niemand aus Tjärg. Sein Mantel war zwar den in Tjärg gebräuchlichen Kleidungsstücken nachempfunden, aber offensichtlich neu und bisher ungetragen.
»Streck die Hand aus!«, sagte der Wärter. Der Mann hob die Hand, als würde ein Unsichtbarer neben ihm stehen und ihn bewegen.
»Seht ihn euch an«, flüsterte Diolen. »Und stellt euch vor, ihr seht an seiner Stelle eure Brüder, eure Schwestern und Eltern.«
Murmeln erhob sich im Saal. Ravin fühlte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Der Mann drehte den Kopf und blinzelte in die Runde. Immer noch spiegelte sich kein Funken Verstand in seinem Gesicht. Endlich erkannte Ravin ihn. Es war Kilmen, einer der Krieger, die ihn und Darian an Jerriks Lagerfeuer begrüßt hatten. Ravin biss sich in die Unterlippe, bis er Blut schmeckte. Er musste so schnell wie möglich das Gefängnis finden! Aber wie? Am Eingang standen zwei Horjun und glotzten mit einer Mischung aus Grauen und Faszination den Seelenlosen an. Er musste warten, bis die neuen Horjun den Raum wieder verließen, und dann auf dem Rückweg zurückbleiben.
»Kämpft also, Horjun!«, rief Diolen »Ihr wisst nun wofür.«
Sie strömten aus der Halle, froh, den Anblick des Seelenlosen hinter sich lassen zu können. Eine Hand legte sich auf Ravins Schulter. Vor Schreck schrie er unwillkürlich auf. Es war Ruk. Er war blass, offensichtlich hatte das, was er gesehen hatte, ihn ebenso mitgenommen wie die anderen Horjun. Trotzdem versuchte er seine Angst zu überspielen.
»He, Galo Kopflos! Wo willst du hin?«
»Ruk«, flüsterte Ravin. »Verrate mich nicht. Ich gehe nicht mit in die Feuerberge.«
Bor kam auf sie zu, die Horjun begannen sich in Formation zu stellen.
Ruk blickte sich um, dann zerrte er Ravin ein paar Schritte weiter und drückte ihn in eine Nische.
»Ich habe dich beobachtet, kleiner Bruder«, sagte er leise. »Du gehörst nicht zu uns, nicht wahr?« Ravin blieb der Mund offen stehen. Wollte Ruk ihn verraten?
»Nein«, sagte Ruk, als hätte er Ravins Gedanken erraten. »Ich verrate dich nicht. Aber wenn du fliehen willst, musst du dich beeilen. Am besten ist, du verschwindest durch den Dienstbotengang. Er
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