Im Bann des Fluchträgers
Es schien, als hätte er darauf gewartet, bis Sella wieder da war. Jetzt sah Ravin ihn oft bei Amina sitzen und seinen Plan mit ihr besprechen.
»Es könnte funktionieren«, beschwor er sie leise. »Allein habe ich nicht genug Kraft. Und ich bin noch nicht so weit, dass ich eine Tür aus den Angeln heben könnte – vom Zauber des Najhaars ganz zu schweigen.«
In Aminas Augen bemerkte Ravin zum ersten Mal wieder ein spöttisches Glitzern.
»Ein schöner Plan, Darian Danalonn. Du willst deine Magie einfach mit meiner vermengen, als handelte es sich um Mehl und Zucker für einen schönen Zauberteig?« Sie lachte bitter. »Aber meine Magie ist dunkel. Eine gute Art, uns umzubringen, wenn der Zauber macht, was ihm gefällt.«
»Ich weiß«, stimmte Darian zu. »Wenn wir unsere Kräfte bündeln, entsteht ein Wirbelzauber. Aber es wäre immer noch besser, als hier auf unser Schicksal zu warten.«
»Tu es, Amina«, flüsterte Mel Amie. »Besser wir sterben beim Versuch, zu fliehen, als dass wir hier auf unser Schicksal warten.«
»Nein!« Aminas Stimme klang plötzlich scharf. »Selbst wenn ich wollte, hätte ich nicht die Kraft.«
Fiebrig sah sie aus und schwach.
»Und wenn schon«, sagte Darian unbarmherzig. »Sie haben dich geschwächt – aber mich nicht! Und Ravin wird dir helfen.«
Erstaunt blickte Ravin seinen Freund an. Darian zwinkerte ihm zu.
»Heute Nacht oder nie, Amina!«, sagte er. Sie musterte die angespannten Gesichter. Ravin nickte ihr zu. Noch einen Augenblick schien sie unschlüssig zu sein, dann seufzte sie und wurde noch bleicher, als sie ohnehin schon war.
»Heute Nacht«, flüsterte sie.
»Wünsch mir Glück, Laios«, murmelte Darian. Zu dritt standen sie vor der Tür. Die anderen hielten sich so weit wie möglich von ihnen entfernt. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Darian legte die Hände an die Tür und flüsterte etwas, was Ravin nicht verstand – plötzlich war der ganze Raum voll schimmernder, silberner Nachtfalter. Amina kicherte.
»Weiße Magie«, flüsterte sie. Sie trat zu Darian und streckte ihm ihre verletzte Hand hin, die Darian zögernd ergriff. Ravin war unbehaglich zumute, als er sah, wie Aminas Lächeln verschwand. Er glaubte zu spüren, dass sie Angst hatte. Nun drehte sie sich mit flackerndem Blick zu ihm.
»Jetzt du«, sagte sie weich und streckte ihm die andere Hand hin. Sie war heiß von Fieber. Mit leiser Stimme sprach Darian die magischen Worte. Oft hatte Ravin gehört, wie er sie geübt hatte. Nun jedoch klangen sie fremd und beinahe greifbar im Raum. Aminas Stimme fiel in denselben schleppenden Singsang ein. Die magische Flamme floh in einen Winkel und erlosch. Körperlos schwebten Darians und Aminas Stimme im Raum. Aminas Hand fing zu zittern an. Und plötzlich begann etwas durch Ravins Fingerspitzen aus ihm hinauszufließen. Die Jahre rannen über seinen Körper, tropften ab und versickerten im Fluss der Vergänglichkeit. Er spürte, wie seine Augen tief in die Höhlen sanken, wie sein Rücken sich beugte, seine Zähne sich lockerten und sein Mund faltig und trocken wurde. Er wollte protestieren, doch aus seiner Kehle kam nur ein Krächzen. Dann war es ruhig, während er sich schwankend auf den Beinen hielt, hundert Jahre alt, müde und bereit ein letztes Mal Luft zu holen um dann für immer auszuatmen.
Ein Zischen ertönte und eine Wucht wie von hundert Pferdehufen warf ihn zurück. Aminas Hand entglitt seinen Fingern, er prallte gegen eine Wand aus Körpern. Die Jerriks schrien auf. Blendend helles Licht erfüllte den Raum. Wo die Tür gewesen war, gähnte ein verkohltes Loch.
Sie stürmten in den Gang. Mäntel aus Fell lagen verstreut auf dem Boden. Kreischende langbeinige Vögel staksten hässlich und grotesk umher. Ravin vermutete, dass es der Gefängniswärter Gramol
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