Im Bann des Fluchträgers
seiner Wunde zu spüren. Ravin fühlte sich, als wäre er aus einem Albtraum erwacht, um gleich in einen zweiten zu sinken. Die Burg, die Düsternis und die schreckliche Nachricht, die er in der Halle der Gesänge vernommen hatte, lösten sich im Sonnenlicht auf wie ein Traum, der vom Morgenlicht verscheucht wurde. Und dennoch – die Gewissheit blieb, dass Tjärg in Gefahr war. Nichts war so, wie er es verlassen hatte. Und immer noch hatte er keine Möglichkeit gefunden, Jolon zu helfen.
Nach den Tagen im Gefängnis schmerzte das Sonnenlicht umso mehr und auch die Hitze machte ihnen zu schaffen. Die Bäche, die sich durch die flachen Täler zogen, waren zur Hälfte ausgetrocknet. Am Rand des Wassers wuchsen die roten Beeren, die Ravin bereits bei den Felsen entdeckt hatte. Sie pflückten sie und aßen im Gehen.
Mit jeder Stunde, in der sie keinen von Badoks Reitern sahen, wurde die Stimme der Hoffnung in Ravins Kopf lauter. Sie flüsterte ihm ein, dass Diolen und Badok nach dem Brand der Burg ihren Plan vielleicht aufgegeben oder zumindest verschoben hatten. Seine Vernunft sagte ihm, dass es eine unbegründete Hoffnung war, dennoch war er erschrocken, wie bereitwillig er der Hoffnung glauben wollte. Wie unbegründet sie war, zeigte sich, als Ladro von einem seiner Erkundungsgänge zurückkam.
»Ganz in der Nähe sind Reiter! Versteckt die Pferde und geht in die Höhle dort drüben.«
Hastig und so leise wie möglich brachten sie die Pferde hinter eine Gruppe von Felsen. Dann krochen sie durch einen niedrigen Spalt in die Höhle. Widerwillig spürten sie, wie Kühle und der Geruch von Stein sie wieder umfingen. Ravin kauerte sich an die Wand. Durch einen Felsspalt konnte er einen Ausschnitt des Weges beobachten, auf dem sie soeben noch geritten waren.
Lange Zeit hörten sie nur ihren eigenen Herzschlag und verhaltenes Atmen. Dann, nach und nach, mischte sich das Klappern von Eisen auf Stein in diese Geräusche. Sella erstarrte und kauerte sich noch dichter an die Felswand. Auf dem Weg erschien ein vielbeiniger Schatten. Die Lanzen der Horjun ragten daraus hervor wie die Stacheln eines wurmartigen Drachen mit unzähligen Beinen. Dann ritt der erste Horjun an der Höhle vorbei. Es folgten etwa fünfzehn weitere. Sellas Gesicht war so bleich, dass es weiß zu leuchten schien. Ravin und die anderen zogen sich noch weiter in den Höhlenschatten zurück. Im Schritt zogen die Reiter vorbei. Ganz am Ende des Zuges ritt ein junger Horjun, der am langen Zügel einige Pferde mit sich führte. Und bei diesen Pferden – Ravin blieb die Luft weg – war Vaju! Er zwang sich, den Blick abzuwenden und sie nicht in Gedanken zu rufen. Doch es war zu spät.
Vaju hob ruckartig den Kopf und blieb stehen. Der Horjun sah sich verwundert nach ihr um und zog am Zügel. Doch Vaju nahm ihn gar nicht wahr. Mit gespitzten Ohren sah sie zur Höhle. Aminas Finger gruben sich in Ravins Arm. »Wenn sie uns verrät, sind wir verloren«, hörte er Ladro flüstern.
Vaju wieherte schrill und riss sich los. Den Horjun zog der Ruck aus dem Sattel, mit überraschtem Gesicht stürzte er zu Boden und ließ auch die Zügel der anderen Pferde los. Vaju stürmte auf die Höhle zu.
»Zu den Pferden!«, zischte Ladro.
Ravin und Amina packten Sella und stießen sie ins Freie, sahen verblüffte Gesichter und tänzelnde Pferde. Vaju galoppierte mit gespitzten Ohren auf Ravin zu, stemmte ihre Vörderhufe in den Boden und kam schlitternd direkt vor ihm zum Stehen. Er packte ihre Mähne, zog sich hoch und griff nach Aminas Hand. Die Horjun hatten sich immer noch nicht von ihrer Überraschung erholt.
»Wir lenken sie ab«, flüsterte er Amina zu und drückte Vaju die Fersen in die Flanken.
»He! Da ist die Waldhexe!«, rief jemand aus der Horjun-Gruppe. Aus dem
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