Im Bann des Fluchträgers
Augenwinkel sah Ravin, dass Darian und die anderen bei den Pferden angelangt waren.
»Holt mich doch, ihr Haufen von stinkenden Schnecken!«, schrie Amina. Die Horjun machten die Münder zu und zogen die Schwerter.
»Ins Gebirge«, zischte Amina. Ravin trieb Vaju zu einem mörderischen Tempo an, schnaubend und mit angelegten Ohren preschte sie voran. Aber sie waren zu zweit auf ihrem Rücken und Vaju hatte nicht Dondos lange Beine. Die Horjun holten auf. Ein Speer flog mit einem kichernden Zischen dicht an Ravins Schulter vorbei. Vaju legte die Ohren an und meisterte mühelos und mit donnernden Hufen eine scharfe Biegung, die um eine Gruppe von Felsen herumführte. Dann verbreiterte sich der Weg mit einem Mal. Vor ihnen lag eine Ebene, die wie abgeschnitten endete. Der Felsspalt war breit. Viel zu breit um auf das Plateau auf der anderen Seite zu gelangen, das von Felsen gesäumt war und ein gutes Versteck bieten würde.
»Halt darauf zu«, rief Amina. Ravin wollte protestieren, doch voll Entsetzen spürte er, dass Amina ihm die Zügel aus der Hand gewunden hatte und das Pferd antrieb. Vaju stutzte nur kurz, als die schroffe Felskante vor ihr auftauchte, dann spannte sie sich und sprang. Das ist unser Ende, dachte Ravin und schloss die Augen. Er hörte nur den Wind, keinen Hufschlag mehr. Mitten in dieser gespenstischen Stille fühlte er einen harten Stoß und landete in einem schmerzhaften Strudel von Armen, Beinen und Geröll. Als er die Augen öffnete, sah er, wie Vaju sich keuchend wieder hochrappelte.
»Los, da rüber«, rief Amina, stand auf und rannte zu Vaju. Sie versteckten sich hinter den Felsen und drückten sich keuchend mit dem Rücken gegen den Stein. Kurz darauf hörten sie Hufgetrappel und das Schlittern von Hufen, die auf dem glatten Untergrund Halt suchten.
»Sie können unmöglich über die Kluft gesprungen sein«, sagte eine barsche Stimme.
»Nein, hier sind sie!« Gejohle erklang und ein Trommelwirbel von Hufen, der sich rasch entfernte. Ravin sah Amina an. In ihrem Gesicht spiegelten sich Ratlosigkeit und Verwirrung. Vorsichtig spähte er durch einen Felsspalt auf die andere Seite – und schlug die Hand vor den Mund um nicht vor Überraschung aufzuschreien. Die Horjun verfolgten ein weißes Pferd, das auf der anderen Seite an der Kluft entlangpreschte. Auf dem Rücken des Pferdes saßen ein Mädchen mit schwarzem Haar und ein Waldmensch, der sich tief über die perlmuttschimmernde Mähne beugte. Das Gespenst verschwand hinter einer Biegung, die Horjun auf den Fersen.
Amina und Ravin rutschten am glatten Fels nach unten, bis sie auf dem Geröll saßen.
»Was war das?«, fragte Ravin, der immer noch zitterte.
»Ein Zauber? Vielleicht war es Darian …«
Doch der Zweifel in Aminas Stimme war allzu deutlich.
Mit weichen Knien stand Ravin auf und ging zu Vaju. Endlich begrüßte er sie, streichelte ihren Hals und atmete den Duft von Meer und Salz ein. Dann tastete er ihre Beine ab, doch Vaju hatte keinen Kratzer davongetragen. Lediglich am Hals, wo die magische Fessel sie gehalten hatte, war das Fell versengt. Ravin fragte sich, wie viel Schmerz es sie gekostet hatte, den nur noch schwach wirkenden Zauber zu durchbrechen.
Amina stand am Abgrund und betrachtete den Bachlauf weit unter ihnen.
»Wir müssen wieder auf die andere Seite«, meinte sie. »Links von hier gibt es eine Stelle, an der die Kluft nur eine Pferdelänge breit ist. Ein Glück, dass die Horjun sie nicht entdeckt haben.«
Ladro fanden sie zuerst. Reglos lag er an einen Felsen gelehnt. Amina sprang von Vajus Rücken und stürzte zu ihm.
»Nicht, Ladro«, stammelte sie. »Bitte nicht!« Mit gemischten Gefühlen sah Ravin, wie sie sich neben Ladro ins Geröll kniete, sein Gesicht in die Hände nahm und immer
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