Im Bann des Fluchträgers
wie ein verkleidetes Kind aussehen. Es lächelte Ravin an. »So erinnere ich nicht mehr an einen Mann, nicht wahr?«, sagte die junge Skaardja und lachte. »Ja, wir sind alt geworden. Das ist gut so. Alles hat seine Zeit, nicht wahr? Und die Jugend, glaube mir, ist nicht immer die beste. Sie ist schön wie eine Tagesblüte auf dem See, die am Abend schon verwelkt. Aber sie ist auch unangenehm wie ein berauschender Trank. Ein alter Geist in einem jungen Körper – das, glaube mir, ist das Lästigste, was einem Menschen geschehen kann.«
Sie kicherte und betrachtete ihre kräftige, sehnige Hand mit den bläulich schimmernden Fingernägeln. Langsam schien die Haut einzufallen, sich zu kräuseln, sie rutschte über die Knochen wie schwerer Stoff, blähte sich auf, spannte sich über Muskeln und Fett. Erstaunt sah Ravin, wie die viel zu weiten Kleider sich füllten, das Haar noch heller wurde und schrumpfte, bis wieder die alte Skaardja vor Ravin saß. Mit ihrem kurz geschnittenen, beinahe weißen Haar und ihrem breiten, faltendurchzogenen Männergesicht.
»Atmen, Lachen und auch Sterben – alles ist ein Spiegelbild der Unendlichkeit«, schloss sie und blickte versunken auf den glühenden Stein.
Ravin schwieg immer noch, obwohl die Ungeduld ihm beinahe das Herz zerriss und ihre Worte ihn erschreckten.
»Was ich damit sagen will, Ravin …«, begann Skaardja nach einer viel zu langen Weile. »Du hast den langen Weg gemacht, um meine Quelle zu finden. Die Sache ist nur die – sie wird deinem Bruder nicht helfen können.«
Ravins Hoffnung zerstob in seiner Brust wie ein Stück Kreide, das auf Felsen aufschlug.
»Nein«, würgte er hervor und sprang auf. »Das stimmt nicht. Laios hat gesagt …«
»Setz dich wieder hin«, befahl Skaardja in ruhigem Ton. Widerwillig gehorchte er, doch die Verzweiflung hüllte ihn wieder ein, fest und gnadenlos wie ein Sterbetuch.
»Ich habe diese Quelle vor vielen Jahren erschaffen«, fuhr Skaardja fort. »Wie ich bereits sagte, war ich viel als Heilerin unterwegs und brauchte ein gutes Heilwasser für das Spülen von Wunden und entzündeten Augen. Außerdem eignete es sich hervorragend dazu, Zierkristalle zu züchten.«
Sie räusperte sich verlegen und wischte mit dem Ärmel einen Weinfleck vom Boden. Dann seufzte sie und blickte in Ravins fassungsloses Gesicht.
»Das Wasser ist nicht magischer als ein Rebstockzauber. Ich habe nie verstanden, wie das Gerücht aufkam, dass es Flüche aufheben und sogar Tote aufwecken könnte. Und wie ich höre, hat euer Hofzauberer Laios ebenfalls dazu beigetragen, diese seltsame Geschichte zu verbreiten.«
Tränen verschleierten Ravins Sicht, die Teeschale entglitt seinen Händen und zerschellte auf dem felsigen Grund. Zwei Höhlentreter sprangen herbei und hoben die Scherben so vorsichtig auf, als wären es Vögel, die aus dem Nest gefallen waren.
»Na«, meinte Skaardja mit verlegener Grobheit. »Sicher findest du einen anderen Weg, um deinen Bruder zu retten – und wenn nicht … Wir sind alle nur Spiegelbilder der Unendlichkeit.«
Verlegen klopfte sie ihm auf die Schulter und stand auf. Am Höhleneingang drehte sie sich noch einmal um.
»Außerdem ist die Quelle mir leider ohnehin entwischt. Es ist eine Wanderquelle. Das ist der Najzauber, den ich damals verwendet habe. So sind Najs eben – heute hier und morgen dort. Sag den Höhlentretern Bescheid, wenn du etwas brauchst!«
Sie verschwand lautlos und, wie es Ravin vorkam, erleichtert, ihn alleine lassen zu können. Ravin vergrub den Kopf in den Händen und weinte. Er bemerkte kaum, dass einer der Höhlentreter ihm mit seiner riesigen Hand tröstend auf die Schulter klopfte.
Darian stöhnte. Ravin kroch auf allen vieren zu ihm und strich ihm über
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