Im Bann des Fluchträgers
stellte der Mondgesichtige fest und winkte einen pelzigen Höhlentreter heran, der eiskaltes Bergwasser und Kräuterblätter brachte. Ravin zuckte zusammen, als das Wasser seine Haut berührte, doch er sagte nichts und beobachtete das hellblonde, kurz geschnittene Haar des Fremden, das von weißen Strähnen durchzogen war.
»Sella …«, begann er.
»Das Mädchen?«
Der Alte lächelte ihm beruhigend zu.
»Ich habe sie vor fremden Augen verborgen. Morgen werden wir sie am Fuße des Tonjun begraben. Sie hätte Diolens Hand nehmen können. Aber sie ist gesprungen. Das wird jetzt gleich wehtun.«
Ravin biss die Zähne zusammen.
»So, das war’s. Was hast du da an der Lippe?«
»Nur eine alte Verbrennung.«
»Sieht nicht schön aus. Was bist du, ein Feuerschlucker?«
»Nein, es war eine Nymphe.«
»Diese Feuerplagen!«, rief der Mann ärgerlich. »Ich kann sie nicht leiden. Wasser ist besser, Wasser heilt, lässt klar sehen und wachsen. Schau dir diese Höhle an, Wasser hat sie aus dem Fels gespült. Und direkt unter uns fließt der Fluss, hörst du das Rauschen? Feuer dagegen – pft! Frierst du etwa?«
Ravin bemerkte erst jetzt, dass er zitterte.
»Ein wenig«, gab er zu. »Aber du wirst sicher kein Feuer anmachen.«
Der Fremde lächelte.
Mit den Händen strich er sanft über den runden Stein. Ein rosa Schimmer breitete sich aus und wurde zu einem warmen Glühen. Wärme flutete über Ravins Wangen. Er dankte mit einem Nicken und nahm noch einen Schluck Tee.
»Wo sind meine Freunde?«, fragte er.
»In den anderen Höhlen. Ich kümmere mich gerade um sie.«
Die Worte verwirrten ihn.
»Geht es ihnen gut?«
»Es ist keiner tot«, sagte der Mann trocken. »Aber ich kam zu spät. Zu spät für euer Mädchen.«
Resignation schwang in der brüchigen Stimme mit. Ravin versuchte seinem Gefühl auf den Grund zu gehen, das ihm sagte, dass irgendetwas hier verkehrt war.
»Warum hast du uns geholfen?«, fragte er schließlich. Der Mann blickte ihn ausdruckslos an und zuckte die Schultern.
»War ein Gefühl«, antwortete er nach langer Pause. »Ich sehe, dass diese Staubgesichter hier in meinen Bergen rumschleichen. Mit Kriegspferden und Horjun und auch noch mit diesem unsäglichen Diolen an der Spitze. Dann sehe ich, dass sie harmlose Fremde durch das halbe Gebirge jagen. Ich sehe das Mädchen mit eurem Zauberer. Zwanzig Staubköpfe gegen zwei wehrlose Wanderer. Und ich denke mir: Nicht in meinem Gebirge!«
Ravin dachte nach. Sosehr er auch suchte, sein Gefühl sagte ihm, dass er dem Fremden trauen konnte.
»Die Staubgesichter sind die Erloschenen?«
»Wie du meinst. Sie haben viele Namen und eine Gemeinsamkeit: Keiner kann sie leiden, seit sie hier aufgetaucht sind.«
»Wie lange gibt es sie schon?«
»Sie sind so alt wie das Leid und der Tod selbst.«
»Ich meine, wie lange sind sie schon in Skaris? Bei Diolen und Badok.«
Der Mann zog die Stirn kraus.
»Einen Sommer, vielleicht zwei?«
»Gehörst du zur Burg?«
Ein kehliges Lachen war die Antwort.
»Meine Zeiten im Kreis der Hofzauberer sind schon lange vorbei. Damals als die ganze Bande noch vernünftig war und diese Feuergeister schön in ihrem Berg blieben, da war ich gerne in der Burg. Aber jetzt …«
»Dann kennst du Diolen?«
»Du bist neugierig, Ravin va Lagar«, sagte der Alte und winkte einen Höhlentreter herbei. Ravin wunderte sich, woher er seinen Namen wusste. Hatte Amina ihn verraten?
»Und du bist ungestüm. Wenn du dich hier in Skaris bewegen möchtest, musst du lernen, Geduld zu haben und dich nicht unüberlegt in jede Gefahr zu stürzen.«
Ravin senkte den Kopf.
»Obwohl es sehr mutig war, deinen Freund retten zu wollen. Trotzdem – es hätte dich beinahe das Leben gekostet, wie so vieles andere auch, nicht wahr?«
Der Mann lächelte und
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