Im Bann des Fluchträgers
Kartenträger ernannt. Werft einen Blick auf seine Hand. Aber scheuche erst das Licht weg.«
Sie drängten sich um ihn und blickten über seine Schulter. Auf seiner Handfläche leuchteten Wege, Berge und kleine Wellen, die den Fluss und das Meer bezeichneten. Wie von liebevoller Hand gemalt wirkten die feinen roten Linien. Zum ersten Mal sah Ravin das Land von oben. Das Grenzland, den Taniswald, das Meer. Erstaunt stellte er fest, wie klein die Entfernungen im Grunde waren. Tjärg und Skaris waren Nachbarländer – und doch war Skaris in seiner Vorstellung Tausende von Monden weiter von Tjärg entfernt als etwa das Nachbarland Lom. Langsam verblassten die Linien, bis sie schließlich nach und nach ganz verschwanden.
»Wenn du sie sichtbar machen möchtest, nimm die Flamme in die Hand und warte, bis die Karte ihr Licht aufgesaugt hat. Ohne das magische Licht bleibt die Karte unsichtbar.« Darian schwieg. Ravin konnte nicht erkennen, ob er damit einverstanden war, der Kartenträger zu sein. Skaardjas Blick wanderte unbekümmert weiter, überging Amina und verweilte schließlich auf Ravin.
»Und was kann ich dir mit auf den Weg geben, Ravin va Lagar?«
In ihrer Stimme schwang ein Lachen mit.
»Nichts«, antwortete er.
»Du bist klug, Waldmensch. Und da ich schon geahnt habe, was du mir antworten würdest, habe ich nichts für dich – aber ich bitte dich für Darian etwas mitzunehmen. Er wird mit der Karte genug zu tun haben.«
Ravin nickte. Sie holte eine winzige Kristallphiole hervor, die aus einem einzigen Edelstein geschliffen war. Violett schimmerte darin eine ölige Flüssigkeit.
»Skariswurzel«, sagte sie. »Eine winzige Menge nur, gelöst in Wein.«
Darians Augen wurden groß.
»Seit ich Laios kenne, versucht er diese Wurzel zu bekommen!«, sagte er. »Für die Heilsalbe, die …«
»… gegen Blindheit hilft, gegen kranke Knochen, gegen die rote Wut und gegen jede Art von Zahnschmerzen. Ganz richtig. Und sie ist sehr selten, selbst hier. Ich weiß, dass du lieber das Öl als die Karte tragen würdest, Darian. Trotzdem bestehe ich darauf, dass Ravin das Fläschchen trägt.«
»Gern«, sagte Ravin und nahm die Phiole an sich. Das Kristallglas war warm. Die Sonne war inzwischen über die Gipfel gekrochen, im Tal schmolzen die Nebel.
»Warum befindet sich die Karte denn auf Darians Hand?«, fragte Mel Amie Ravin.
»Ganz einfach«, erwiderte Skaardja an seiner Stelle. »Jeder, der sie lesen will, muss seine Hand nehmen. Und ich wüsste nicht, wer diese Berührung gerade nötiger hätte als er.«
Amina sah sie überrascht an, dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht und ließ es weich und schön erscheinen.
»Möge Elis dich beschützen!«, sagte sie.
Skaardja lächelte und schwieg.
Kieselsteine und Muscheln knirschten unter den Pferdehufen, als sie den glühenden Bergen entgegenritten. Skaardja stand am Fuße ihrer Höhle. Die Höhlentreter machten traurige Gesichter und fuchtelten zum Abschied mit ihren schaufelgroßen Händen wie verrückt in der Luft herum.
II
Auf nach Dantar
Sie ritten schweigend, nur der Hufschlag brach sich an den Felswänden, wenn sie ein kahles Tal durchritten. Ravin behielt den Bergkamm, der sich rechts von ihnen erhob, ständig im Auge, in der Furcht, dass sie unvermutet doch auf Horjun oder ihre Späher treffen könnten. Ladro ritt voraus, Mel Amie folgte als Nachhut. Ravin bemerkte, dass sie stets das kleinere der beiden Horjun-Pferde ritt, das zwar die Ohren anlegte, wenn sie in die Nähe kam, aber längst nicht mehr nach ihr schnappte. Doch als sie überlegte, welchen Namen sie ihm geben sollte, fiel Amina ihr ins Wort und meinte schroff, sie solle sich darüber keine Gedanken machen, es sei ein Horjun-Pferd, nichts weiter. Also blieb das Pferd namenlos wie Aminas
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