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Im Bann des Fluchträgers

Im Bann des Fluchträgers

Titel: Im Bann des Fluchträgers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Ban­ty.
    Die Son­ne stieg rasch und brann­te ih­nen, lan­ge be­vor es Mit­tag wur­de, auf Ge­sich­ter, Hän­de und Nacken. Ein Schwarm der ro­ten Vö­gel folg­te ih­nen. Ihr Ge­fie­der blitz­te in der sir­ren­den Luft. Manch­mal wur­den sie frech und flo­gen so dicht an ih­nen vor­bei, dass Ra­vin zu­sam­men­zuck­te, weil ein Flü­gel an sei­nem Ohr vor­bei­schnapp­te. So­oft er ei­nem der gau­keln­den Vö­gel nach­blick­te, kam ihm Sel­la in den Sinn. Viel­leicht war ei­ner von ih­nen ja wirk­lich Sel­las See­le, wie Ami­na es hoff­te?
    Sie rit­ten, bis die Schat­ten sich um sie schlos­sen wie ei­ne za­cki­ge Faust. Wäh­rend der we­ni­gen Stun­den, die sie sich als Rast gönn­ten, wag­ten sie nicht ein Feu­er an­zu­zün­den, son­dern sa­ßen mit dem Rücken zu den Fel­sen und schlie­fen ab­wech­selnd einen traum­lo­sen, kur­z­en Schlaf. Mit­ten in der Nacht mach­ten sie sich wie­der auf den Weg, ganz auf Va­ju und Don­do ver­trau­end, die wie zwei blei­che La­ter­nen den Zug an­führ­ten und traum­wand­le­risch al­le ge­fähr­li­chen Stel­len Um­schrif­ten. Noch be­vor die Son­ne auf­ging, er­kann­ten sie von fern den Fluss, der sich grau und ver­ne­belt wie ei­ne Rauch­spur durch das Tal zog.
    »Ge­veck! Ge­veck!«, schri­en die Vö­gel ein letz­tes Mal, be­vor sie ab­dreh­ten und in die Ber­ge zu­rück­flo­gen.
    Der Fluss wand sich zwi­schen steil auf­ra­gen­den Fels­wän­den ent­lang. Über­all in den Wän­den gab es Höh­len und un­ter­spül­te Gän­ge aus ei­ner Zeit, als der Fluss sehr viel mäch­ti­ger und grö­ßer ge­we­sen war. Ra­vin ent­deck­te weit über Au­gen­hö­he Mu­scheln und Tie­re, mit lan­gen ge­schupp­ten Bei­nen, die mit dem Fels ver­wach­sen wa­ren, und dach­te dar­an, dass der Fluss vor un­vor­stell­bar vie­len Jah­ren den gan­zen Fels­s­palt aus­ge­füllt ha­ben muss­te. In der Schlucht war es ge­spens­tisch still, kei­ne Vö­gel, kaum Wind, nur das ver­ein­zel­te Zir­pen von In­sek­ten, die im nied­ri­gen Busch­werk sa­ßen, war zu hö­ren. Nicht ein ein­zi­ges Hall­ge­spenst folg­te ih­ren Spu­ren, nur das Echo ih­rer ei­ge­nen knir­schen­den Schrit­te brach sich an den Fel­sen. Sie wan­der­ten über Ge­röll und Mu­schel­sand. Tags­über folg­ten sie dem Fluss, der sie wie ei­ne glit­zern­de Dra­chen­schlan­ge be­glei­te­te und nachts ge­spens­tisch hell leuch­te­te. An man­chen Ta­gen hat­te die Schlan­ge ei­ne schma­le schwar­ze Zeich­nung auf dem Rücken, ein Band, das dar­auf hin­wies, dass mit­ten im Fluss­bett ein großer Spalt klaff­te, der tief, sehr tief ab­fiel. Die Re­gen­bo­gen­pfer­de wa­te­ten un­be­küm­mert im Ufer­was­ser, scheuch­ten die schwer­fäl­li­gen Fi­sche auf, die auf dem Grund vor sich hin dös­ten, tän­zel­ten, schüt­tel­ten die Mäh­nen und wälz­ten sich in den Flu­ten, so­bald Ra­vin und Dari­an ih­nen die Sät­tel ab­nah­men. Mehr als ein­mal glaub­te Ra­vin, im Rau­schen des Flus­ses Stim­men zu ver­neh­men und im nächt­li­chen Ne­bel die Um­ris­se von Din­gen zu se­hen, die er nicht se­hen woll­te. In sol­chen Näch­ten ver­schloss er die Au­gen vor den kör­per­lo­sen Ge­stal­ten, die aus dem Fluss auf­stie­gen, und ver­such­te mit al­ler Macht Jo­lon zu fin­den.
    Er tas­te­te mit sei­nen Ge­dan­ken nach dem Traum­fal­ter, stell­te sich Jo­lons Ge­sicht vor, dach­te so sehr an den Tjärg­wald, dass er den fri­schen, schar­fen Duft von bren­nen­dem Ja­la­holz roch, und spür­te, wie das wei­che Gras kühl­feucht und fe­dernd un­ter sei­nen nack­ten Fuß­soh­len nach­gab. Der Duft von Fleisch über ei­nem Win­ter­feu­er ließ ihm das Was­ser im Mun­de zu­sam­men­lau­fen und er sah, wie ein frisch ge­gerb­tes Fell über das Feu­er ge­hängt wur­de. Und da wa­ren der ein­bei­ni­ge Jä­ger Finn und sei­ne al­te Tan­te Di­la ne­ben dem Feu­er und schnit­ten das Fleisch in Strei­fen um es zum Trock­nen ans Feu­er zu le­gen. Doch Jo­lon sah er nicht. Al­les, was er er­ken­nen konn­te, be­vor er in einen schwe­ren, traum­lo­sen Schlaf fiel, war die na­men­lo­se Ge­stalt, die er be­reits aus frü­he­ren Träu­men kann­te. Sie hielt ih­ren lan­gen schwar­zen Man­tel aus­ge­brei­tet.

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