Im Bann Des Jaegers
nicht ganz so voller Einfühlungsvermögen wie er. Sie gab einen guten Soldaten ab, und das wusste sie. Paul wirkte ein wenig verloren. Sie blickte von ihm zu Javier und sah dann Kane an. Diese Männer hatten Paul in ihrer Welt akzeptiert, ihn in ihre Familie aufgenommen. Sie boten ihm ihre Loyalität und ihre Bereitschaft an, ihn vollständig zu akzeptieren, und das brauchte er offensichtlich. Er würde ihnen dasselbe zehnfach zurückgeben.
Wenn es einfacher für dich ist, Rose, kann ich mit Javier ins Nebenzimmer gehen.
Sie holte Atem und schüttelte den Kopf. Plötzlich stellte sie fest, dass sie auch zu ihnen gehören wollte. Sie wollte im selben Maß von ihnen akzeptiert werden. Wenn sie eine von ihnen wurde – wie Paul einer von ihnen geworden war – , würde Javier ihr dieselbe Loyalität entgegenbringen wie seinen übrigen Familienmitgliedern. Sie wollte seinen Respekt und seinen Schutz, für sich und für Sebastian. Es fiel ihr schwer, sich von ihren Ängsten zu lösen – sie hatte so viele – , aber sie hatte es immer für das Beste gehalten, sich ihren Ängsten zu stellen.
»Unter extremen Bedingungen bin ich in der Lage, mir in meinem Kopf ein Bild davon zu machen, was in dem Körper eines anderen Menschen vorgeht.« Sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum und versuchte die richtigen Worte zu finden, um zu beschreiben, in welcher Form sich die Gabe manifestierte. »Als Erstes fühle ich Hitze in meinen Fingerspitzen. Und dann in den Handflächen. Schließlich werden meine Hände so heiß, dass es sich anfühlt, als würden sie brennen.«
Paul nickte. »Die Nerven sind blank, und die Hitze beginnt in deine Arme aufzusteigen.«
Rose sah ihn verblüfft an. Er verstand sie. Er verstand dieses Phänomen tatsächlich. Sie lächelten einander an. »Als es das erste Mal passiert ist, war ich sieben Jahre alt. Eines der Mädchen, Thorn, hat aufgehört zu atmen. Wir alle haben sie sehr geliebt. Mich hat Panik ergriffen. Sie hat uns alle gepackt. Whitney war gerade aus dem Raum gegangen, und Thorn ist plötzlich umgefallen. Sie hatte sich ihm widersetzt, und er hatte ihr einen Elektroschock verpasst. Ich bin zu ihr gerannt. Meine Hände brannten. Ich wusste, dass ich sie … «
»Berühren musste. Dass du deine Handflächen auf sie legen musstest«, fiel ihr Paul ins Wort.
Rose vergaß alle anderen im Raum. Sie nickte, und ihr Herz schlug heftig. »Es war mehr Instinkt als irgendetwas sonst. Sowie ich sie berührt habe, konnte ich sehen, dass ihr Herz nicht geschlagen hat. Es war stehen geblieben. Ich konnte es in meinem Kopf sehen.«
»Und als Reaktion darauf hast du den elektrischen Strom gefühlt, der nötig war, um ihr Herz wieder zum Schlagen zu bringen«, sagte Paul. »Die Elektrizität ist durch deinen eigenen Körper geströmt. Es ist, als stellten unsere Körper das zur Verfügung, was denen fehlt, die auf irgendeine Weise verletzt oder verwundet worden sind. Ich bezeichne es als Geistheilung.«
»Wie funktioniert das?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe versucht zu ergründen, was mir zustößt, wenn ich auf jemanden treffe, dem etwas fehlt. Die Reaktion ist jedes Mal anders. Ich sehe den Patienten in Farben. Ist das bei dir auch so?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Wenn ich meine Handflächen auf ihre Haut lege, sehe ich in ihre Körper hinein, nicht durch meine Augen, sondern in meinem Kopf, als nähme ich die Bilder durch den Hautkontakt in mich auf.«
Kanes Finger schlossen sich enger um ihre; damit lenkte er ihre Aufmerksamkeit auf sich und erschreckte sie. Sie sah ihn an und fürchtete sich fast vor dem, was sie sehen würde. In jemanden hineinzuschauen war eine seltsame, abgehobene Erfahrung. Wenn ihr eigener Körper auf den des anderen reagierte, dann war das fast eine Form von Intimität, wobei ihr Körper lieferte, was der andere brauchte. Sie erzählte es niemandem, wenn es sich irgend vermeiden ließ, und sie ging nie näher auf das ein, was vorgefallen war – sie wollte nicht daran denken, was passiert war. Es war beängstigend und erhebend. Es war aber auch sehr, sehr schmerzhaft.
Ihre Blicke trafen sich. In Kanes Augen stand nichts anderes als Ehrfurcht, Respekt und Liebe. Das Herz flatterte in ihrer Brust, und sie hätte schwören können, dass ihre Knie weich wurden. Es lag an seiner Art, sie anzusehen. Wie ein hungriges Raubtier. Mit glühendem Verlangen. Mit vollkommener Hingabe. All diese erstaunlichen Gefühle galten ihr, und er versuchte nicht, sie zu
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