Im Bann des Maya-Kalenders
das offensichtlich in vielen Lebensbereichen hoch entwickelt war? Die abenteuerliche Entdeckung und die in den Monumenten versteckten Rätsel beflügelten die Phantasie archäologisch und ethnologisch interessierter Kreise.
Den Mythos förderten in erster Linie spirituelle und esoterische Gruppen, denn es war offensichtlich, dass die archäologischen Funde religiöse Geheimnisse bargen. Vor allem moderne Esoteriker hofften, in den Ruinen alte Weisheiten zu finden. Verfügten die Priester dieser rätselhaften Zivilisation vielleicht über geheime spirituelle Erkenntnisse? Waren ihre Priester Weise oder gar Erleuchtete? Konnten sie mit den Göttern kommunizieren? Waren sie im Besitz des Weltcodes?
Den Sprachforschern gelang es erst um 1980 herum, die geheimnisvollen Hieroglyphen der Maya in den vier entdeckten Schriften (Codizes) und auf den Inschriften restlos zu entziffern. Eine besondere Knacknuss war die Entschlüsselung des komplexen und mysteriösen Kalendersystems, denn sie erforderte auch astronomische und mathematische Kenntnisse. Als die Wissenschaftler die Textfragmente endlich lesen konnten, taten sich ihnen neue Fragen auf. Manche Inschriften waren unvollständig oder derart verwittert, dass eine exakte Übersetzung unmöglich war. Deshalb konnten die Esoteriker eigene Interpretationen anstellen und ihre spirituellen Sehnsüchte ungestört in die Maya projizieren.
Die Hieroglyphen der Maya stellen laut Auskunft der Wissenschaftler die einzige bekannte, voll entwickelte Schrift der amerikanischen Urvölker dar. Zum Leidwesen der Forscher umfassen die Codizes keine 200 Seiten. Zu wenig, um einen vollständigen Überblick über das Kalendersystem, Bräuche, Kultur, Weltbilder und religiöse Anschauungen zu gewinnen. Die Maya kannten rund 700 Schriftzeichen, einige können die Sprachforscher immer noch nicht deuten.
Die vielleicht wertvollste Schrift ist im Besitz der Dresdner Staats- und Universitätsbibliothek. Die 39 Blätter aus Feigenbaumrinde erwarb der sächsische Hofkaplan und Bibliothekar Johann Christian Götze 1739 in Wien. Allerdings ahnte der kurfürstliche Kaplan nicht, welchen Schatz er gekauft hatte, denn der Dresdner Kodex, der aus dem 13. Jahrhundert stammt, wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts als Maya-Schrift erkannt. Der Kalender konnte etwa 50 Jahre später entziffert werden.
Die Bibliothek hat den Dresdner Kodex digitalisiert und ins Internet gestellt. Er enthält Hieroglyphen, Zeichnungen und Symbole, die von Krankheiten, Opferfesten, religiösen Ritualen, astronomischen Phänomenen und Ernten berichten. Aneinandergereiht sind die Blätter gut drei Meter lang. Die übrigen erhaltenen
Maya-Codices befinden sich in Mexiko-City, Madrid und Paris.
Bei den Esoterikern und Apokalyptikern ist allerdings der Dredner Kodex der Star unter den spärlichen Maya-Schriften, denn er enthält als einziger einen Kalender und eine Zeichnung, die an eine apokalyptische Szene erinnert. Das letzte Bild zeigt nämlich mythische Tiere und Götter. Aus dem Maul eines Drachen stürzen Wasser auf die Erde, was viele Betrachter als Sintflut interpretieren.
Das indigene Volk bestand aus mehreren Volksgruppen, die Mittelamerika von ca. 3000 v. Chr. bis 900 n. Chr. bewohnten. Die Hochland- (vorwiegend in Guatemala und Honduras) wie auch die Tiefland-Maya (vorwiegend im Süden Mexikos und Belize) hatten artverwandte Sprachen. Heute leben noch rund sechs Millionen Nachfahren des Urvolkes auf der Yucatán-Halbinsel. Kultur und Bräuche ihrer Urahnen sind ihnen aber weitgehend fremd. Sie gehören zur Unterschicht und werden abschätzig Indios genannt. Die alten Maya-Rituale haben sich mit dem christlichen Glauben vermischt. Wie ihre Vorfahren leben sie mehrheitlich von der Landwirtschaft, speziell vom Maisanbau. Ihre Sprache und Bilderschrift erinnern noch heute an die Ausdrucksweise ihrer Vorfahren.
In der letzten Epoche, der späten Klassik zwischen 600 und 900 n. Chr., erreichten die Maya ihre Blütezeit. Damals bevölkerten bis zu 20 Millionen Menschen das Maya-Gebiet. Ihr Territorium bestand aus über 50 selbstständigen Staatsgebieten, unter ihnen mehrere Stadtstaaten mit eigenständigen Herrschern, meist Adligen und Königen. Diese verfügten über Tausende Bedienstete und regierten über ein Millionenvolk von Bauern, Handwerkern, Kaufleuten und Kriegern. Ein einheitliches Reich mit einer zentralen Regierung gab es nie.
Die feudalen Paläste waren den Adligen vorbehalten. Die durchschnittlichen Maya
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