Im Bann des Maya-Kalenders
die Wendezeitvorstellungen des Urvolkes sind reine Spekulationen, die von den Sehnsüchten und Projektionen der Esoteriker genährt werden. Manche spirituelle Sucher behaupten sogar, geistigen Kontakt mit den Maya der Frühzeit aufnehmen zu können, aktuelle Informationen von ihnen zu bekommen und somit ihre Erkenntnisse und Prophezeiungen besser zu kennen als die Archäologen.
Nikolai Grube, einer der profundesten Kenner der Maya-Kultur, relativiert denn auch die Aussagen der Esoteriker: »Außer einer Inschrift aus Tortuguero in Mexiko, die das Jahr 2012 erwähnt, wissen wir von den Maya gar nichts über dieses Datum.« Grube ist Direktor des Ausgrabungsprojekts der Maya-Stadt Uxul in Guatemala. Außerdem leitet er das Institut für Altamerikanistik an der Universität in Bonn. Welche Botschaft enthält die Inschrift? Nichts Genaues, außer dass sich »das Datum 2012 ereignen« wird, sagt Grube. Sie enthalte keine Prophezeiung, keine Weltuntergangsszenarien, nicht einmal einen Hinweis auf das angebliche Ende irgendeines bedeutenden Zyklus. Die Inschrift ist so stark beschädigt, dass sie sich auch nicht exakt entziffern lässt. Deshalb bleibt selbst den Forschern
nichts anderes übrig, als über die verwitterte Botschaft zu rätseln.
Unlesbare Hieroglyphen
Die Esoteriker stützen sich vor allem auf den Archäologen Guillermo Bernal von der mexikanischen Autonomen Universität. Dieser interpretiert die erodierte Hieroglyphe als »Er wird vom Himmel heruntersteigen«. Damit lieferte er den Apokalyptikern und Esoterikern das elektrisierende Stichwort: Das apokalyptische Ereignis soll uns aus den kosmischen Sphären erreichen.
In ihrer Euphorie übersehen die Esoteriker, dass die fragliche Hieroglyphe keine zweifelsfreie Übersetzung erlaubt. Und: Wer soll denn vom Himmel heruntersteigen? Vielleicht der Gott Bolon Yokte, der in der gleichen Inschrift erwähnt wird? Dieser ist aber für die Schöpfung zuständig – und nicht für den Weltuntergang. So glaubt auch Bernal nicht, dass die Inschrift einen Hinweis auf das Ende der Zeit enthält: »Die Apokalypse ist ein sehr westliches, christliches Konzept, das auf die Maya projiziert wird.«
Mit ihren Kalendern haben die Maya versucht, weltliche, gesellschaftliche und religiöse Ereignisse in einen historischen Zusammenhang zu stellen. Sie identifizierten die Zahlen mit Göttern. Der Sonnengott war die Zahl 4, der Maisgott die 8, der Mensch die 20. Ihre durchaus erstaunlichen mathematischen Grundlagen basierten nicht auf dem Dezimalsystem, sondern auf der Zahl 20, wie der Maya-Experte Nikolai Grube erklärt. Ausgangslage sind die 10 Finger und 10 Zehen der Menschen. »Für die Maya hat jede Zeiteinheit ihren Gott«, sagt Grube. So gibt es Tagesgötter und Monatsgötter.
Grube gibt allen Endzeitprognosen und apokalyptischen Szenarien eine Absage: »Der Maya-Kalender endet nicht, weil
er auch nicht anfängt. 2012 ist das Ende einer Periode von 400 Jahren. Danach kommt die nächste Periode.« Der Ethnologe vergleicht die Jahreszahl 2012 mit unserer Jahrtausendwende.
Die Untergangsinterpretationen der Esoteriker kommen aber nicht ganz von ungefähr. Die Maya hatten laut Grube häufig Untergangsideen, genau genommen jedes Jahr am Jahresende. Sie glaubten, die Welt ginge symbolisch unter und werde durch ihre Rituale neu geschaffen. Die Jahre waren Zyklen, an deren Enden das Alte verschwand und das Neue geboren wurde. Im Zentrum stand aber nicht der Untergang, sondern der Neubeginn. »Es gab vier Götter, die über die Jahre regierten, die Jahresträger-Götter, die die Jahre auf dem Rücken trugen«, sagt Grube.
Die Maya fürchteten sich nicht vor dem Weltuntergang, ihnen machten vor allem irdische Katastrophen Angst. Dies drückte sich auch im Jahreskalender aus, der aus lediglich 360 Tagen bestand. Sie betrachteten die restlichen fünf Tage, die sie laut Grube »Schläfer des Jahres« oder »die namenlosen Tage« nannten, als Übergangsperiode bis zum Neubeginn. In dieser Zeitspanne befürchteten sie Naturkatastrophen. Wassermangel, Missernten, Wirbelstürme, Epidemien und Erdbeben waren ihre ständigen Begleiter.
Das große Interesse dieses Volkes an den astronomischen Phänomenen hatte auch mit den Ängsten vor solchen Katastrophen zu tun. Die Maya suchten am Himmel Zeichen, die auf Gefahren hindeuteten und nicht auf den Weltuntergang oder das Auslaufen der Zeit.
Das ist bis heute so geblieben. Die Nachfahren der Maya sind mehrheitlich Bauern und leben in
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