Im Bann des Maya-Kalenders
anschließend erlöst zu werden. Die Johannes-Offenbarung tröstet die Gläubigen mit der Botschaft, Gott werde sich an ihren Peinigern rächen. Schließlich konnten sich die christlichen Gemeinden im ersten Jahrhundert schlecht erklären, weshalb sie als das auserwählte Volk Gottes verfolgt und gequält wurden. Johannes entwickelte seine Endzeitvisionen also vor einem konkreten geschichtlichen und sozialpolitischen Hintergrund. Die Botschaft vom Jüngsten Tag und der Wiederkunft von Jesus Christus richtete sich an die verzweifelten Gläubigen jener Zeit und sollte ihnen Hoffnung machen.
Den Urchristen wurde tatsächlich viel zugemutet. Sie mussten nicht nur die Qualen der Römer über sich ergehen lassen, sondern offensichtlich auch die »Endzeitverzögerung« aushalten. Viele Bibelforscher sind sich nämlich einig, dass die ersten Christen überzeugt waren, die Endzeit sei mit dem Erscheinen von Jesus angebrochen. Jesus selbst habe dies angedeutet. Die Gläubigen sahen in Jesus den Erlöser, der sie von allen irdischen Nöten befreien werde. Im Neuen Testament verkünden mehrere Stellen das nahe Ende der Welt und die Befreiung des Gottesvolkes. Im Markusevangelium (9.1) heißt es, die Jünger von Jesus werden »den Tod nicht schmecken, bis sie sehen das Reich Gottes kommen mit Macht«. Als sich nach der Kreuzigung von Jesus das Gerücht seiner Auferstehung wie ein Lauffeuer verbreitete, erwarteten die Gläubigen unmittelbar den Jüngsten Tag.
Auch die historischen Zusammenhänge stützen diese These. Die Evangelien beruhen auf mündlichen Überlieferungen, die Originale sind verschollen. Die ältesten erhaltenen Abschriften datieren vom 4. Jahrhundert. Die Evangelisten fühlten sich offensichtlich nicht bemüßigt, die Geschichte der Urchristen niederzuschreiben, weil sie das baldige Ende der Zeit erwarteten. Das Johannes-Evangelium beispielsweise wurde erst etwa um das Jahr 70 nach Christus aufgezeichnet, wenige Jahre nach dem Brand von Rom. Kaiser Nero machte die Gemeinde der Urchristen
für die Katastrophe im Jahr 64 verantwortlich und ließ sie zu Tausenden verbrennen oder den Löwen vorwerfen. Angesichts dieser weltlichen Pein schienen sie an der bisher erwarteten »baldigen Wiederkunft« Christi und der Apokalypse zu zweifeln. Viele Bibelkenner vermuten, dass diese Endzeitverzögerung die Urchristen veranlasste, der Nachwelt die heilsgeschichtlichen Zeugnisse zu hinterlassen.
Das Ende der Zeit bedeutete für die Urchristen nicht das Ende der Welt. Sie klammerten sich an die Verheißung vom »besseren Leben«. Die Jünger Jesu siedelten das Reich Gottes nicht »im Himmel« an, sondern glaubten an das »Paradies auf Erden«, das Gott nach der reinigenden Katastrophe errichten werde. Wahrscheinlich war auch Jesus davon überzeugt, dass mit seinem Wirken auf der Erde die Endzeit angebrochen sei. Er hatte schließlich den Auftrag, das Heil in die Welt zu bringen. Zwar hat es Jesus unterlassen, nähere Angaben zum apokalyptischen Szenario zu machen, doch deuten verschiedene Aussagen darauf hin, dass er daran glaubte, die Endzeit einzuläuten.
So steckten auch die christlichen Würdenträger im Dilemma, das Ausbleiben der Apokalypse begründen und die enttäuschten oder aufgebrachten Gläubigen besänftigen zu müssen. Die religiösen Führer taten es vorwiegend mit dem Argument, dass Gott offensichtlich andere Zeitbegriffe kenne als die Menschen. Oft musste auch der biblische Hinweis, dass Gott den Menschen keinen Einblick in seinen Heilsplan gewähre, die Christen bis ins 3. Jahrhundert hinein trösten. Schließlich müssten sich zuerst die in der Apokalypse prophezeiten Vorzeichen wie Kriege, Katastrophen und Hungersnöte ereignen, bevor mit der Wiederkunft Christi zu rechnen sei, wurde den Gläubigen erklärt.
Als sich die frühen Christen mit der Vorstellung anfreunden mussten, das Ende der Zeit nicht zu kennen, brauchten sie eine neue Heilsperspektive und neue Lebensinhalte. Die kirchlichen Würdenträger gehörten zu den ersten Christen, die die angenehmen Seiten des menschlichen Daseins entdeckten. Sie bauten die
weltliche Macht aus und häuften einen beträchtlichen Reichtum an, der sie für die entgangene Verheißung entschädigte.
Weltliche Bedürfnisse nahmen im kirchlichen Alltag immer mehr Raum ein. Als Kaiser und Könige das Christentum zur Staatsreligion erklärten, herrschte alles andere als Weltuntergangsstimmung. Die vermehrte Konzentration auf das Diesseits leitete einen Bewusstseinswandel
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