Im Bann des Maya-Kalenders
ein. Die Hoffnung auf die baldige Apokalypse blieb aber vor allem bei jenen Gläubigen wach, die auf der Schattenseite lebten.
Die kirchlichen Autoritäten kompensierten im Laufe der Jahrhunderte die Sehnsucht nach der Wiederkunft Christi, indem sie Jesus bildhaft in die Kirchen holten und in den Herzen der Gläubigen platzierten. Bilder und Statuen brachten die Heiligen den Gläubigen näher. Heute nehmen freikirchliche Gläubige bei ihrer Bekehrung den Sohn Gottes explizit »in ihr Herz auf«. In der katholischen Kirche erfüllen die Sakramente diese Aufgabe symbolisch. Beim Abendmahl wird gar die leibliche Präsenz des Erlösers und die Allgegenwart von Jesus im Diesseits suggeriert. Im Vatikan residiert der »Stellvertreter Gottes«, der die Personifizierung fördert. Verstärkt wird die Identifikation außerdem mit der angeblichen Unfehlbarkeit des Papstes in Lehrfragen.
Trotz 2000-jähriger Endzeitverzögerung gehört die Apokalypse immer noch zur zentralen religiösen Frage in der abendländischen Welt. Die heutigen Fundamentalisten sehnen sich nach dem Jüngsten Tag wie früher die Urchristen. Beim Bibelstudium stoßen sie immer wieder auf die Zahl 1000, die bei der Apokalypse eine wichtige Rolle spielt. Johannes spricht in der Offenbarung vom Millennium, dem tausendjährigen Reich Gottes auf Erden. Auch Daniel operiert immer wieder mit der mystischen Zahl oder einem Vielfachen der symbolträchtigen Ziffer. Wahrscheinlich benutzten die damaligen Propheten die Zahl lediglich als Metapher für eine schier unfassbare Größenordnung. Mathematik war vor 2000 Jahren eine Disziplin für wenige Spezialisten, das abstrakte Denken noch nicht kultiviert.
Solche Bedenken kümmern die dogmatischen Bibel-Exegeten und Hobby-Propheten in den Reihen der evangelikalen oder charismatischen Glaubensgemeinschaften wenig. Bei ihren eigenen Prophezeiungen nehmen sie die Zahl 1000 als absolute Größe. Es überrascht deshalb nicht, dass die letzte Jahrtausendwende von einem breiten Endzeitfieber begleitet war.
Die Krux mit der Zeitrechnung
Verschiedene geschichtliche Hinweise und Theorien besagen, dass sich die Zahl 1000 schon in grauer Vorzeit ins religiöse Bewusstsein geschlichen hat. In der Schöpfungsgeschichte hat Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen und am siebten Tag geruht. Für die Urchristen dauerte ein Tag des Herrn »tausend Jahre«, wie es im Barnabasbrief heißt. Ihre Interpretation: Gott hat der Welt 6000 Jahre eingeräumt und den siebten Tag für das Millennium reserviert.
Die Vorstellung von der »großen Woche des Herrn«, die 6000 respektive 7000 Jahre dauern soll, hat die meisten Endzeitspekulationen provoziert. Die biblischen Hinweise verleiteten Apokalyptiker, die Zeitrechnung nach einem dreiteiligen Zyklus festzulegen. Danach beginnt die Geschichte der Menschheit mit Adam und Eva rund 4000 v. Chr. 2000 Jahre später trat Abraham auf den Heilsplan. Nach weiteren 2000 Jahren erschien Jesus, nach nochmals 2000 Jahren erwarten die heutigen Apokalyptiker und Propheten seine Wiederkunft. Das entscheidende Ereignis müsste also in unserer Epoche stattfinden. Es stellt sich nur noch die Frage, ob man den Beginn des letzten Zyklus der Menschheitsgeschichte auf die Geburt oder den Tod von Jesus datiert.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass Jesus mit Sicherheit nicht im Jahr Null auf die Welt gekommen ist, haben sich doch bei der Zeitrechnung Fehler eingeschlichen. In den ersten Jahrhunderten nach Christus war das Zeitbewusstsein
kaum ausgebildet, es gab auch keine einheitliche Zeitrechnung. Erst Anfang des 6. Jahrhunderts ersann der Mönch Dionysius Exiguus im Auftrag des Papstes eine neue Berechnungsart, die sich auf die Geburt von Jesus stützte. Doch der Mönch kannte wie die meisten seiner Zeitgenossen die Zahl Null als eigenständige Ziffer nicht, wie Damian Thompson in Das Ende der Zeiten schreibt. Dionysius konnte Jesus also nicht im »Jahr Null« auf die Welt kommen lassen, was für die Apokalyptiker und Fundamentalisten natürlich fatale Folgen hat. Dionysius ließ den Sohn Gottes Ende Dezember des 1. Jahres v. Chr. das Licht der Welt erblicken, und am 1. Januar begann das 1. Jahr n. Chr.
Doch nicht genug des Ärgers mit der Zeitrechnung. Viele Historiker sind überzeugt, dass die Volkszählung sechs oder sieben Jahre vor unserer Zeitrechnung durchgeführt wurde. Jesus ist wahrscheinlich im Jahr 6 v. Chr. auf die Welt gekommen. Wann genau »Anno Domini«, das Jahr des Herrn, war, bleibt
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