Im Bann des Maya-Kalenders
auch Philosophen und Schriftsteller erfassten. So schrieb beispielsweise Friedrich Nietzsche 1888: »Unsere ganze europäische Kultur bewegt sich seit Langem schon mit einer Tortur der Spannung, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wächst, auf eine Katastrophe los: unruhig, gewaltsam, überstürzt: wie ein Strom, der ans Ende will.«
Apokalypse wird ein Massenphänomen
Im 20. Jahrhundert bekam die Apokalypse eine neue Bedeutung. Glaubten bisher fast ausschließlich Mitglieder dogmatischer christlicher Gruppen und Endzeit-Gemeinschaften an ein baldiges Ende der Zeit, wuchs nun auch bei jenen Menschen die Angst vor apokalyptischen Szenarien, die ein rationales Weltbild entwickelt hatten. So löste der Erste Weltkrieg (1914 bis 1918) bei vielen Menschen Furcht vor der Endzeit aus. Im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) gebärdete sich Adolf Hitler messianisch und begründete das angebliche Tausendjährige Reich. Als auch diese globale Krise überstanden war, erfassten neue, von Menschen gemachte Ängste apokalyptischen Ausmaßes die Massen: Die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki demonstrierte, dass der Mensch fähig ist, die Apokalypse selbst herbeizuführen.
Später verwandelte der Kalte Krieg der Supermächte die Welt in ein atomares Pulverfass, das auf einen präsidialen Knopfdruck hin hätte explodieren können. Nach dem Zerfall des Ostblocks weckten Ängste vor der Überbevölkerung, vor Umweltzerstörungen,
Energieknappheit, Klimaveränderung und vor den sich häufenden Naturkatastrophen auch bei Intellektuellen Endzeitvisionen. Der Zusammenbruch des kommunistischen Reichs Ende der 80er-Jahre löste bei vielen christlich-dogmatischen Glaubensgemeinschaften apokalyptische Phantasien aus. Sie sahen darin die Erfüllung einer biblischen Prophezeiung und erwarteten die baldige Wiederkunft Christi.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten die christlich-fundamentalistischen Bewegungen einen prägnanten Aufschwung. Die charismatischen und pietistischen Evangelisationsbewegungen entsprechen mit ihren apokalyptischen Konzepten der Endzeitsehnsucht vieler Menschen. Damian Thompson spricht von einer »Explosion fundamentalistischen Christentums« in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die »ein deutliches Zeichen für die Macht eines Endzeitglaubens« sei.
Thompson entdeckte eine starke Ähnlichkeit mit den apokalyptischen Vorstellungen des Mittelalters: »Nach Meinung liberaler Christen und nichtchristlicher Kommentatoren bestätigt das lediglich den primitiven, von Ängsten gespeisten Charakter des Fundamentalismus.« Er kommt zur Überzeugung, das prozentuale Wachstum der evangelikalen Christenheit übertreffe wahrscheinlich das jeder anderen Religion einschließlich des fundamentalistischen Islams. Schätzungen gingen davon aus, dass die Zahl der charismatischen Christen in 15 Jahren von 90 Millionen auf 400 Millionen gewachsen sei.
Beim 2. Weltkongress der weltweit größten Pfingstkirche, der »Assemblies of God« vom 25. bis 28. September 1997 in der brasilianischen Stadt São Paulo beschlossen die Delegierten eine breit angelegte Evangelisation moslemischer Staaten und die Gründung vieler Ableger in den ehemaligen kommunistischen Ländern und in Afrika. Damit versuchen die pfingstlichen Gemeinden, unter anderem, die biblische Forderung zu erfüllen, wonach die Wiederkunft des Sohnes Gottes erst erfolgen werde, wenn allen Menschen das Evangelium verkündet worden sei.
Es ist auch kein Zufall, dass die »Assemblies of God« die Machtdemonstration mit einer Million angereister Gläubiger im katholisch dominierten Brasilien durchführte. Die Pfingstkirchen brechen in Südamerika mit solcher Wucht in katholische Stammlande ein, dass sogar der damalige Staatspräsident Fernando H. Cardoso, ein bekennender Atheist, dem Weltkongress seine Aufwartung machte. Die Pfingstkirchen bilden heute mit rund 20 Millionen Gläubigen ein Wählerpotential, das kein Politiker mehr ignorieren kann.
Die Diskussion um die Endzeit hat beim Übergang ins dritte Jahrtausend eine grundlegend neue Qualität bekommen. Begünstigt vom grassierenden New-Age-Kult hat ein großer Teil der westlichen Welt ein eigentliches Bewusstsein für die magische Zeitenwende entwickelt. Die esoterisch motivierten Propheten haben die religiösen Visionäre in wenigen Jahren ins Hintertreffen gebracht. Die Schwelle zum dritten Jahrtausend wird als Epoche in die Geschichte eingehen, die von apokalyptischen Ängsten nicht nur
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