Im Bann des Maya-Kalenders
Schwindel aufgedeckt und damit vermutlich das apokalyptische Drama beschleunigt hat ironischerweise der Sohn des Sektenführers, der die Requisiten zufällig fand.
Laut Thierry Huguenin nahm ein handwerklich versierter Kultanhänger die Trickinstallationen vor: »Er war von Anfang an für die Technik des Sanktuariums zuständig, die automatische Öffnung der Türen, die Blitze (...) Jo hat unter seinem schwarzen Umhang eine Fernbedienung, mit deren Hilfe er per Knopfdruck Blitze auslösen kann. Und auch die Erscheinung des Heiligen Grals auf dem Hügel hat er bewerkstelligt.«
Die Verklärung förderte Di Mambro mit langen spirituellen Ritualen im Sanktuarium. Dabei gab er unter anderem vor, von den astralen Wesenheiten Inkarnationsbotschaften zu erhalten, welche die Kultmitglieder in eine euphorische Stimmung versetzten. Di Mambro offenbarte ihnen, sie seien früher bedeutende Persönlichkeiten gewesen. Das Spektrum reichte von der Pharaonin Hatschepsut über die Königin von Atlantis bis zur biblischen Gestalt Josua.
Di Mambro war von apokalyptischen Szenarien fasziniert
Der Guru operierte dauernd mit der Angst vor der Endzeit und kokettierte bereits Mitte der 80er-Jahre mit der Apokalypse.
Gegen Ende des Jahrzehnts war die Endzeit das dominierende Thema. Di Mambro kaufte in Australien, Kanada, Frankreich und der Westschweiz Farmen und Anwesen, die das Überleben sichern sollten. Laut Huguenin mussten die Sonnentempler monatelang vor dem Modell eines geplanten Refugiums meditieren: »Jo hielt uns in einer angespannten Atmosphäre drohender Gefahr. Er verstärkte den Druck immer mehr. ›An dem Tag, an dem die Meister mir grünes Licht signalisieren‹, sagte er immer wieder, ›gehen wir fort. Dann brechen wir innerhalb der nächsten Stunden auf.‹« Di Mambro erklärte den Kultmitgliedern, die Tickets würden bereitliegen, der Orden werde in mehrere Gruppen aufgeteilt und in die verschiedenen Zentren flüchten. »Nie stellte irgendjemand auch nur eine Frage. Wir verließen diese Sitzungen mit verkrampftem Magen und weichen Knien.« Damals glaubte der Kultführer noch, er werde die Apokalypse mit seinem Orden in den Überlebenszentren überstehen.
Gleichzeitig führte Di Mambro Überlebensübungen durch. Anhänger kündeten die Arbeitsstelle, verkauften ihre Häuser und Wohnungseinrichtungen – und warteten im Sektenzentrum monatelang vergeblich auf die Endzeit. Alle Kultmitglieder trugen stets eine Nottasche mit sich herum, die eine Gasmaske und Überlebensutensilien enthielt. Damit erzeugte Di Mambro ein Klima der Angst. Außerdem bereitete er seine Anhänger mental auf die Apokalypse vor und band sie bedingungslos an sich. Wer das bevorstehende Ende der Zeit überleben wollte, musste sich an ihn halten.
Der Kultführer erwähnte in den 1990er-Jahren plötzlich eine zweite apokalyptische Variante, nämlich den Transit zu einem nicht näher definierten kosmischen Ziel. Die Überlebenszentren dienten dazu, die Apokalypse zu überstehen, danach würden die Sonnentempler auf die letzte Reise zum Planeten Sirius aufbrechen, erklärte Di Mambro. Er sprach von einer Transmutation über den alchemistischen Weg. Dazu sei eine Integration des kosmischen Bewusstseins nötig. »Wir müssen sterben können,
um wiedergeboren zu werden«, machte der Guru seinen Jüngern weis. Ein halbes Jahr vor dem ersten Massaker verkündete Di Mambro seinen Ordensmitgliedern, er könne ihnen nicht sagen, wann dieser Tag sei: »Es kann in zehn Minuten ebenso wie in zehn Tagen oder drei Wochen sein.« Dieser enge Zeitrahmen zeigt, dass seine Anhänger in ständiger Endzeiterwartung lebten.
Aufschlussreich ist der Abschiedsbrief von Jo Di Mambro: »Wir verlassen diese Erde, um in völliger geistiger Klarheit und Freiheit eine Dimension der Wahrheit und des Absoluten wiederzufinden, fern der Falschheit und Unterdrückung dieser Welt, und um das Heranwachsen unserer künftigen Generation zu realisieren. So erfüllen sich die Prophezeiungen der Heiligen Schriften, und wir sind nur die demütigen und edlen Diener.« Auf Außenstehende wirken diese Zeilen zynisch, für den verblendeten Guru war es die höchste mystische Realität. Da die Sonnentempler seit jeher der »Herrschaft des Geistes« angehörten, »kehren wir heim«, schrieb Di Mambro. Und zwar ohne das feine Band zu zerstören, das »die Schöpfung mit dem Schöpfer« verbindet. Die mystische Verklärung gipfelt in folgender Aussage: »Manche werden an einen Selbstmord oder an
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