Im Bann des Maya-Kalenders
kollektiven Suizid seiner Angehörigen und engsten Anhänger persönlich und in allen Einzelheiten gefilmt, als handle es sich um eine künstlerische Inszenierung. Die Schlüsselszene zeigt die letzte Mahlzeit der Ordensleute. Dabei schwenkte Di Mambro die Kamera nahtlos von den essenden Anhängern zu ihren bereits betäubten oder toten Weggefährten. Anschließend hielt der Sektenführer filmisch fest, wie einzelne Sonnentempler das tödliche Gift einnahmen. Auch die Leichen seiner Ehefrau Jocelyne, seines Sohnes und seiner Tochter Emmanuelle, »kosmisches Kind« genannt, filmte er. Die Polizei fand ihre toten Körper in der gleichen Position, wie sie auf dem Video zu sehen sind.
Es gibt keine Zeugen, die den Tatablauf hätten schildern können. Die Täter, die die tödlichen Schüsse abgaben und die Injektionen verabreichten, werden wohl nie beweiskräftig ermittelt werden können. Die Untersuchungsbehörden konnten nur nachweisen, dass von den 53 Ordensmitgliedern, die bei den drei Tötungen in Kanada und der Schweiz starben, 38 umgebracht wurden.
In allen Leichen fanden die Gerichtsmediziner ein Gemisch aus Morphin und dem Pflanzengift Kurare, die Lungen enthielten aber nur wenige Rußpartikel. Die Sektenmitglieder waren also tot, bevor der Brand ausgebrochen war. Unter den Leichen, deren Identifikation Wochen in Anspruch nahm, entdeckten die Gerichtsmediziner auch die vier Frauen, die mit Di Mambro liiert gewesen waren.
Jo Di Mambro hatte seinen Jüngern erklärt, das apokalyptische Feuer werde die eingeweihten Ordensleute, also die wiedergeborenen
Tempelritter, reinigen. Ihr spiritueller Weg führe sie in feinstofflicher Form durch den Kosmos zum Planeten Sirius, auf dem sie christusähnliche Sonnenwesen sein würden, während die Erde von apokalyptischen Ereignissen geschüttelt werde.
Auf den apokalyptischen Spuren des Kultführers
Mitte Dezember 1995 erlebten verschiedene Angehörige von Ordensmitgliedern einen weiteren Alptraum, unter ihnen der ehemalige französische Skirennfahrer und Olympiasieger Jean Vuarnet. Als er am 15. Dezember nach Hause kam, suchte er seine Ehefrau Edith und Sohn Patrick vergeblich. Überall brannte Licht, der halbleere Teller stand noch auf dem Esstisch. Die beiden kamen auch am andern Tag nicht heim. Jean Vuarnet ahnte, dass ihr Verschwinden mit den Sonnentemplern zusammenhängen könnte. Edith Vuarnet hatte ihm verschwiegen, dass sie zum »goldenen Kreis« der Ordensmitglieder gehörte. Er erfuhr davon, weil die Polizei Namenslisten gefunden und seine Frau nach den Massakern von Cheiry und Salvan verhört hatte. Auf diesem Umweg wurde ihm offenbart, dass seine Frau jahrelang ein Doppelleben geführt hatte.
Auch andere Angehörige von Ordensanhängern vermissten ihre Familienmitglieder. Am 23. Dezember entdeckten die Behörden nach Hinweisen aus der Bevölkerung im Wald oberhalb von Saint-Pierre-de-Chérennes bei Grenoble, Frankreich, 16 Leichen. Alle wiesen Schusswunden auf. Die Untersuchungen ergaben, dass zwei französische Polizisten bereits am 15. Dezember ihre 14 Ordensbrüder und -schwestern mit einem Gewehr erschossen und sich anschließend mit ihren Dienstrevolvern selbst gerichtet hatten. Elf Erwachsene wiesen Schusswunden an der Brust und am Kopf auf, die drei Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren wurden mit einem Schuss in die Stirn getötet. Wie
im Sanktuarium von Cheiry waren die Leichen kreisförmig angeordnet. Unter ihnen befanden sich Edith und Patrick Vuarnet.
Die Mörder hatten die 14 Opfer mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet. Anfangs glaubten die Untersuchungsbehörden, die beiden Polizisten hätten die Sektenanhänger in eine Falle gelockt und umgebracht, bevor sie selbst den »Transit« antraten. Zwei Indizien gaben den Beamten allerdings Rätsel auf. Es wurden keine Kanister am Tatort gefunden, und Anwohner hatten um die Tatzeit herum drei Autos mit Schweizer Kennzeichen zu diesem Waldstück fahren sehen. Die Polizei fand aber keine entsprechenden Fahrzeuge am Tatort. Möglicherweise waren weitere Kultmitglieder anwesend, die sich nach dem Drama davongemacht haben.
Recherchen ergaben, dass sich mehrere Sonnentempler wöchentlich bei einer Therapeutin in Carouge bei Genf getroffen hatten. Die Schweizer Polizei befragte die Frau und fand heraus, dass sie ebenfalls dem Orden angehörte. Sie erklärte den Beamten, die Sonnentempler würden bei ihr den Schock nach den beiden dramatischen Ereignissen in der Schweiz
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