Im Bann des Maya-Kalenders
Untergrund der Weltstadt weckten bei Augenzeugen Assoziationen an eine apokalyptische Katastrophe. Das unheimliche
Ereignis forderte 12 Tote und über 5500 Verletzte, die auf Bahren in die Spitäler eingeliefert wurden. Sie waren Opfer von Giftgas-Anschlägen, die als Auftakt einer selbstinszenierten Apokalypse gedacht waren.
Zum ersten Mal hatte ein Sektenführer versucht, mit apokalyptischen Szenarien die Außenwelt in seinen Endzeitwahn einzubeziehen. Unbeteiligte Passanten, eingeschlossen in Zügen und U-Bahn-Stationen, sollten von einem unsichtbaren Gas ins Jenseits befördert werden. Mit den hinterhältigen Anschlägen demonstrierten der 1955 geborene Shoko Asahara und seine Aum-Sekte, dass Endzeit-Bewegungen ihre apokalyptischen Aggressionen auch nach außen richten können.
Unerklärlich ist bis heute geblieben, weshalb die Behörden den apokalyptischen Umtrieben und dem Terrorregime des Gurus Asahara nicht früher auf die Schliche kamen und die Attentate verhinderten. Hätten sie die dramatischen Schilderungen und Hilferufe der Angehörigen von Sektenmitgliedern oder von Aussteigern ernst genommen, wäre der Anschlag leicht zu verhindern gewesen. Die Justiz hätte das Gefahrenpotential auch aus den Schriften des Aum-Gründers herauslesen können.
Der Sektengründer hatte schon viel früher Kostproben seiner Wahnideen gegeben, die die Behörden hätten alarmieren müssen. So spielten sich am Abend des 27. Juni 1994 in der japanischen Stadt Matsumoto unheimliche Szenen ab. Mehrere Leute wurden plötzlich von einer schweren Atemnot befallen und von Krämpfen geschüttelt. In den Straßen verendeten viele Haustiere, Vögel fielen vom Himmel. Sieben Personen brachen zusammen, sie überlebten das mysteriöse Ereignis nicht. Die Polizei stand vor einem Rätsel: Hatten Terroristen einen Anschlag verübt oder war aus einem schadhaften Tank Gas ausgetreten? Journalisten stießen bei ihren Recherchen auf Indizien, die zur Aum-Sekte führten. Die Polizei hatte entsprechende Berichte aber nicht ernst genommen, obwohl die Hinweise augenfällig waren:
Im Herbst 1989 verschwanden der Rechtsanwalt Tsutsumi Sakamoto, seine Ehefrau und ihr einjähriger Sohn spurlos. Der Anwalt hatte abtrünnige Aum-Mitglieder juristisch vertreten und auch persönlich unterstützt. Unbekannte waren in seine Wohnung eingedrungen und hatten das Mobiliar verwüstet. Dabei verloren sie einen Anstecker mit dem Aum-Symbol. Später stellte sich heraus, dass die Familie kaltblütig ermordet worden war.
Die Journalistin und Aum-Kritikerin Shoko Egawa entging im September 1994 nur knapp einem Mordanschlag, der mit dem Giftgas Phosgen auf sie verübt wurde.
Der Notar Kiyoshi Kariya, der sich mit der Aum-Sekte angelegt hatte, starb auf mysteriöse Weise. Er wurde mit Drogen vollgepumpt, bis sein Herz versagte.
Aussteiger erzählten Horrorgeschichten, die genau ins Bild dieser Verbrechen passten.
Polizei und Staatsanwaltschaft sahen jedoch keinen Anlass, die Sekte zu beobachten oder die führenden Mitglieder mit den Ereignissen zu konfrontieren.
Nach dem Anschlag auf die Passanten in der U-Bahn von Tokio und dem Aufschrei der Öffentlichkeit richtete die Polizei endlich ihr Augenmerk auf Asahara und seine Gemeinschaft. Sie durchsuchten rund zwei Dutzend Sektenzentren und machten unheimliche Entdeckungen. Neben unzähligen Waffen, Labors und Chemikalien entdeckten sie große Mengen der Stoffe, mit denen sich Sarin-Gas herstellen lässt. Die Sektenbehausungen waren in einem erbärmlichen Zustand, die hygienischen Bedingungen spotteten jeder Beschreibung. Etliche Sektenanhänger lagen im Koma. Medizinische Untersuchungen zeigten, dass die Asahara-Jünger gefährliche Beruhigungs- und Betäubungsmittel eingenommen hatten.
Der korpulente, halbblinde Guru mit seinen langen dunklen Haaren und dem wallenden Bart hatte sich rechtzeitig versteckt und bestritt in Pressemitteilungen, dass seine Bewegung die Sarin-Anschläge
verübt habe. Mit einer abenteuerlichen Theorie versuchte er, die USA für das apokalyptische Szenario verantwortlich zu machen. Amerikanische Flugzeuge hätten Sarin über den Aum-Zentren abgeworfen und ihm und seinen Adepten gesundheitlich geschadet, behauptete er.
Obwohl die Polizei ihm auf den Fersen war und bereits viele seiner Anhänger verhaftet hatte, schickte er am 5. Mai ein weiteres Todeskommando los. In einer Bahnhofs-Toilette von Tokio entdeckte ein Mann eine brennende Plastiktasche, die er rasch löschen konnte. Darin
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