Im Bann des Maya-Kalenders
Ereignisse. Am 30. März wurde Polizeichef Takaji Kunimatsu vor seiner Wohnung in Tokio angeschossen und schwer verletzt. Der Überfall wurde nie aufgeklärt. Später wurde Aum-»Wissenschaftsminister« Murai vor laufender Kamera erstochen.
Von einem Versteck aus schürte Asahara derweil die Furcht vor neuem Terror: Für den 15. April 1995 drohte er den »Tag X« an, der das Erdbeben von Kobe vielfach übertreffen werde. Am 5. Mai vereitelte die Polizei nur knapp einen Anschlag in Tokios Bahnhof Shinjuku: Tausende sollten durch Blausäuregas umgebracht werden. Am 16. Mai explodierte in der Stadtverwaltung von Tokio eine Briefbombe, die an den Gouverneur der Hauptstadt adressiert war. Sie zerfetzte einem Beamten die linke Hand. Am selben Tag stöberte die japanische Polizei Asahara in einem fensterlosen Verlies auf dem Sekten-Areal am Fuji auf.
Die tödlichen Anschläge waren Teil des apokalyptischen Programms des Kultführers. Moralische Skrupel mussten sich seine Anhänger nicht machen, wenn sie das Giftgas herstellten und in den U-Bahn-Stationen deponierten. Solche Aktionen gehörten zum göttlichen Heilsplan, sagte ihnen der Guru. Das Fanal sei für die dumpfe Welt die einzige Chance, sich aus der spirituellen Dunkelheit ins mystische Licht zu transformieren. In ihrer Verblendung glaubten die Aum-Anhänger, der Menschheit die Erlösung mit tödlichen Waffen bringen zu müssen.
Die dramatischen Ereignisse rund um die Aum-Sekte entziehen sich dem Erklärungsmuster, die bei üblichen Sektenphänomenen herangezogen werden. Sicher, Shoko Asahara ist ein Psychopath. Aber lässt sich damit der Wunsch erklären, weite Teile der Menschheit mit Giftgas und anderen Vernichtungswaffen zu eliminieren? Obwohl den überdurchschnittlich gebildeten Aum-Mitgliedern die Wahnideen ihres Gurus nicht verborgen blieben, ließen sie sich in seinen Bann ziehen.
Ashara konnte es sich sogar leisten, seine Anhänger zu erniedrigen, zu demütigen und unmenschlich zu behandeln. Mit Wahrnehmungsverschiebungen, Realitätsverlust und Fanatismus allein lässt sich das Phänomen Aum Shinri Kyo nicht befriedigend erklären. Bei diesem Guru öffneten sich Abgründe krankhafter Fantasien und apokalyptischer Ideen, bei denen psychologische Erklärungen nicht greifen. Das Böse kam in der
Aum-Sekte in einer Form daher, die das menschliche Vorstellungsvermögen weitgehend übersteigt: Asahara trieb die Perversion apokalyptischer Fantasien auf die Spitze.
Shoko Asahara stand Ende April 1996 erstmals vor Gericht. Die öffentliche Meinung wollte den Guru sofort zum Tod verurteilt sehen. Doch rechtlich waren den Richtern teilweise die Hände gebunden, denn der Sektenführer hat die Anschläge und Morde nicht selbst ausgeführt, sondern »nur« angeordnet. Trotzdem wurde er am 27. Februar 2004 zum Tode verurteilt; er nahm den Urteilsspruch schweigend zur Kenntnis. Trotz eines Berufungsantrags seiner Verteidiger wurde das Todesurteil vom Tokioter Gericht bestätigt. Die Rechtsanwälte legten allerdings auch dagegen Berufung ein, da sie nach eigener Aussage erhebliche Zweifel am Geisteszustand Asaharas hatten: Bei mehr als 140 Gesprächen hätten sie sich kein einziges Mal vernünftig mit ihm unterhalten können. Am 30. Mai 2006 reichten sie beim obersten Gericht von Tokio einen Einspruch ein, der aber abgewiesen wurde. Im Gegensatz zu seinen Anwälten kam ein medizinischer Sachverständiger zum Schluss, dass Asahara seine Situation und die Sektenereignisse durchaus richtig einschätzen könne.
Das apokalyptische Fanal beschäftigt Japan bis heute. So stellte sich Ende November 2011 Makoto Hirata nach 17-jähriger Flucht der Polizei. Der 46-jährige Japaner wird beschuldigt, an der Ermordung eines abtrünnigen Sektenmitglieds beteiligt gewesen zu sein. Die japanische Polizei sucht noch zwei weitere Anhänger des Gurus. Neben Asahara verurteilten die Richter zwölf weitere Aum-Mitglieder zum Tod, bis zur Drucklegung des Buches wurde aber noch kein Urteil vollstreckt. Auch Guru Asahara lebte Anfang 2012 noch im Gefängnis.
19. Fiat Lux: Uriellas ultimative Entrückung
Die vielleicht schillerndste Endzeitverkünderin ist die 1929 geborene Erika Bertschinger, die unter dem Geistnamen Uriella bekannt wurde. Die Gründerin des Ordens Fiat Lux (= »Es werde Licht«) tritt in der Öffentlichkeit stets als die Braut von Jesus auf: Mit ihrem Diadem, der lockigen schwarzen Perücke und den weißen langen Kleidern würde sie bei jeder Hochzeit eine gute Figur
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