Im Bann des Mondes
Tier in die Höhe stemmte und dann wegschleuderte. Ein schriller Schrei ertönte und dann noch einer, als der Mann dem Scheusal hinterhersetzte und es mit Schlägen immer weiter zurücktrieb.
Trotz des Dröhnens in den Ohren konnte Winston die Schreie hören. Blut sprudelte aus seiner Kehle und strömte heiß über seine Brust nach unten zwischen seine Beine. Er hätte am liebsten die Augen geschlossen.
»Ich würde Mutter deswegen ungern verlieren.« Eine tiefe Stimme mit eisigem Unterton. Dann tastete jemand seinen Hals ab. Er hatte nicht die Kraft zu sehen, wer das war. Er fühlte sich zu schwer. Zu kalt.
Jemand nahm ihn auf den Arm, als wäre er ein Kind. Er zwang sich, die Augen zu öffnen, und sah sich einem Engel gegenüber. Es musste ein Engel sein. Die Haut des Mannes schimmerte silbern, als bestünde sie aus Eis und Glas. Kein Mensch. Und … Himmel, waren das Flügel?
Sein Sehsinn ließ nach, das Gefühl hochgehoben zu werden und im Wind auf- und abzuschwingen, machte ihn benommen, und seine Wunden schrien vor Schmerz. Ein lautes Rauschen erfüllte seine Ohren. Vorsichtig öffnete er die Augen und sah Nebel an sich vorbeirasen, sowie das fein gemeißelte, eisige Profil eines Mannes, der seltsam vertraut wirkte. Genau wie sein Amulett.
Trotz der Schmerzen richtete sich Winstons gesamte Aufmerksamkeit auf das silberne Amulett, das am Aufschlag des Mannes befestigt war. Er kannte es.
Mit letzter Kraft griff Winston danach und riss es ab, wobei das Metall sich in seine Handfläche bohrte. Dann überließ er sich der Dunkelheit. Sie zog ihn hinab zu ewiger Ruhe, und er spürte, wie er sich ihr willig hingab.
Daisy huschte gerade herein, als Ian die Treppe zur Eingangshalle herunterkam. Überwältigt von ihrem sonnigen, frischen Anblick verharrte er mitten im Schritt. Das üppig wallende, helle Haar ließ sie wie eine Blume erscheinen. Im nächsten Augenblick bemerkte sie ihn und blieb abrupt stehen. Ihre Wangen röteten sich, als ihre Blicke sich trafen. Sofort senkte sie die Lider, um zu verbergen, welche Empfindungen sie gerade durchströmten.
Sie macht Sie schwach
. Sein Griff ums Geländer wurde fester. Aus irgendeinem Grund hatte er plötzlich Angst, er könnte die Treppe hinuntersegeln und bäuchlings zu ihren Füßen landen. Himmel, diese Empfindung gefiel ihm nicht. Doch Daisy, die durch das Licht, welches durchs Fenster fiel, golden strahlte, war ein Anblick, von dem er sich nicht abwenden konnte.
Es war ihm zuwider gewesen, als er gestern ihre Angst gesehen hatte. Es war ihm zuwider, dass dieses Wesen sie wollte.
Sie gehört mir!
Ein lächerliches Gefühl, wenn man bedachte, dass sein Herz es sich nicht leisten konnte, sie für sich zu fordern, es aber trotzdem nicht verschwinden wollte.
»Du gehst aus«, sagte sie, und ihre Stimme hallte melodisch durch die Stille des Hauses.
»Und du scheinst schon aus gewesen zu sein.« Verdammt! Er klang irgendwie verstört … nicht ungerührt. Ja, sie machte ihn tatsächlich schwach. Aber gleichzeitig lebendig. So lebendig.
»Ich habe meine Schwestern besucht.« Ihr Blick umwölkte sich kurz. »Wir treffen uns dienstags immer zum Frühstück.«
Er nahm die letzten paar Stufen in gemächlichem Tempo und kam dann auf sie zu. Ihr lieblicher Duft, der durch kein Parfüm verfälscht wurde, umhüllte ihn, und er zwang sich ganz locker zu wirken. »Geht es dir gut?«
»Ja.« Sie schenkte ihm ein leichtes, routiniertes Lächeln. »Meine Kopfschmerzen sind weg, und Tuttles Zaubertrank hat mich wieder hergestellt.«
Sanft berührte er ihre Schläfe, wobei ihm nicht entging, dass sich Daisy versteifte. Die Reaktion traf ihn mitten ins Herz, doch er redete einfach weiter. »Das freut mich.« Er ließ die Hand sinken. »Allerdings bezog ich mich mit meiner Frage auf das, was du gesehen hast.«
Ihr Kinn spannte sich etwas an, doch sie begegnete gelassen seinem Blick. »Das war schrecklich. Aber deine Wunden sind alle wieder verheilt, und so will ich nicht weiter darüber nachdenken.«
Eine leise Erinnerung regte sich am Rande seines Bewusstseins … von bebender Erde und schreienden Männern. Seine Schmerzen waren zu groß gewesen, um sich deutlicher erinnern zu können. Vielleicht hatte er zu dem Zeitpunkt bereits halluziniert. Da weder Daisy noch Talent über derartige Geschehnisse gesprochen hatten, mussten es wohl tatsächlich Halluzinationen gewesen sein. Aber er war kurz, so kurz davor gewesen, sich zu verwandeln, und das ängstigte ihn fast zu
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