Im Bann des Mondes
würde mir dann bitte einer erklären, was ein ›Geist in der Maschine‹ eigentlich ist?«
Lucien setzte sein Glas ab. »Es ist im Grunde eine ganz normale Geschichte.« Er steckte sich eine saftig aussehende Traube in den Mund und saugte sie genüsslich aus. Daisy lief das Wasser im Munde zusammen. »Es gibt«, fuhr er fort, »bestimmte Leute, die ein größeres Verlangen nach Leben haben als andere. Leider sind die Umstände nie nett, und irgendwann endet ihr Leben.«
»Ist das nicht immer so?« Himmel, sahen diese Trauben lecker aus.
Er nahm sich noch eine. »Das sollte man meinen. Doch diese Leute weigern sich gewissermaßen, friedlich in die kalte Nacht hinauszugehen. Und deshalb warten sie ohne einen Körper, der sie wärmt … eine Seele, die dahintreibt auf der Suche nach einem Heim. Und, siehe da, dieser arme, verlorene Geist findet eine Gelegenheit.«
»Einen sterbenden Körper«, ergänzte Northrup und musterte Lucien aus schmalen Augen, während dieser eine weitere saftige Traube auslutschte.
»Ja«, sagte Lucien. »Ein perfektes Heim, denn dieser Körper wird bald verlassen sein.«
»Und so«, fuhr Northrup fort, »verdrängt dieser Geist den rechtmäßigen Geist aus dem sterbenden Körper und nimmt ihn in Besitz.«
»Etwas derb ausgedrückt, aber im Grunde richtig.« Lucien spielte mit dem Stiel seines Weinglases. »Aber es gibt ein Problem.«
»Der Körper stirbt immer noch«, sagte Daisy. Die Geschichte hatte den Schlag ihres Herzens verlangsamt und dafür gesorgt, dass sich die feinen Härchen in ihrem Nacken aufstellten.
Er strahlte förmlich. »Genau! Glücklicherweise gibt es für jedes Problem eine Lösung, sodass bei der Inbesitznahme, wenn die Götter wohlwollend sind« – Northrups verächtliches Schnauben wurde ignoriert – »ein Wesen erscheint.«
Lucien trank wieder von dem Wein, und Daisy musste schlucken, wobei sie sein Tun nachahmte und sich wünschte, der Wein würde durch ihre Kehle strömen. Northrups Hand legte sich auf ihre. Der strenge Blick seiner blauen Augen brachte sie dazu, sich wieder zurückzulehnen.
»Er nennt sich Adam«, sprach Lucien weiter, »denn er aß vom Baum der Erkenntnis und lernte so, seine eigenen Geschöpfe zu erschaffen. Adam gibt dem Geist das Heim, nach dem er sich sehnt, indem er den sterbenden Körper wieder herstellt und ihn in eine perfekte, alterslose Hülle verwandelt.«
»Das heißt …« Daisy schluckte. »Sie sind ein Geist, der den Körper eines anderen benutzt?«
Er lächelte und zeigte seine Zähne. »Exakt.« Er lachte leise. »Und ein ziemlich hübscher Körper noch dazu, meinen Sie nicht auch?«
Daisy verzog die Lippen zu einem Schmollen, doch er grinste weiter. »Sie hätten mal meinen eigenen Körper, in dem ich geboren worden bin, sehen sollen. Er war unscheinbar, schlaksig und irgendwie verdreht … der krönende Abschluss von über Generationen praktizierter Vetternehe.« Er deutete eine Verbeugung an. »Ich war sehr reich, ein sehr verwöhnter, sehr weißer, sehr widerlicher Plantagenbesitzer.« Eine weitere Traube verschwand zwischen seinen schönen Lippen. »Ach, was würden sie sich im Grabe umdrehen, erführen sie, dass ich jetzt im Körper einer Mulattenhure lebe.«
»Vielleicht würden sie auch denken, dass Sie sich glücklich schätzen können, eine zweite Chance im Leben erhalten zu haben«, murmelte Daisy.
»Das bezweifle ich,
ma chère
. Denn man darf den Preis nicht übersehen, den man für diese zweite Chance, wie Sie es nennen, bezahlt.« Eiseskälte trat in seine grünen Augen. »Der Geist muss Adam mit weiteren Körpern versorgen.«
»Und wenn der Geist dies nicht tut?«
»Oh, das muss er aber. Denn Adam baut eine ziemlich schlaue Sicherung ein.« Bei diesen Worten öffnete er die mittleren zwei Knöpfe seines Hemds und zog das Leinen auseinander.
»Gütiger Himmel«, hauchte Daisy und legte eine Hand an die eigene Brust, weil der Anblick sie schmerzte.
In seine Brust war ein kleines, goldgerahmtes Fenster eingesetzt, durch welches man unter dem Käfig aus Knochen, blauen Adern und Fleisch ein goldenes Herz schlagen sah … ein Wunderwerk der Handwerkskunst aus Zahnrädchen und Kolben.
Nachdem Daisy gesehen hatte, wie ein Mann sich in einen Wolf verwandelte, wusste sie, dass auch das Unmögliche möglich war. Trotzdem hielt es sie nicht davon ab, sich nach vorn zu lehnen und die Hand zu heben, als wollte sie das kleine Fenster berühren. Im letzten Moment schloss sie die Finger zur Faust, als ihr
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