Im Bann des Mondes
einem thronähnlichen, schwarzen Sessel mit Intarsien aus Perlmutt saß. Der Mann war genauso atemberaubend wie der Raum. Seine karamellfarbene Haut wirkte hell im Vergleich zum schimmernden, rabenschwarzen Haar, das von seiner hohen Stirn wie Tinte das herrlich gemeißelte Gesicht umrahmte. Er richtete den Blick auf sie, und ihr stockte kurz der Atem. Seine Augen schimmerten in einem hellen Jadegrün, das von innen heraus zu leuchten schien.
Northrup hatte ihren leisen Atemzug gehört, und sein Griff um ihre Taille wurde ein wenig fester. Zu einer anderen Gelegenheit hätte die besitzergreifende Geste sie zum Lachen gebracht. Der Mann sah wirklich gut aus, aber er hatte eine Kälte an sich, strahlte etwas Seltsames aus, das sie auf der Hut sein ließ. Er schien sich der Wirkung seines Aussehens auf Uneingeweihte wohl bewusst zu sein, doch der Ausdruck in seinen Augen sprach von Erschöpfung und Resignation, als würde es ihm keine Freude bereiten. Daisy bekam das seltsame Gefühl, dass er seine eigene Schönheit ablehnte.
Er war nicht wie ein moderner Gentleman korrekt gekleidet, sondern trug ein Gewand aus dem vorigen Jahrhundert: Kniebundhosen aus blauem Satin, ein Spitzenjabot und einen Schwalbenschwanz aus aquamarinfarbenem Satin, bestickt mit winzigen, hellgrünen Libellen. Seine Stimme klang sanft und herzlich.
»Willkommen auf der
Marietta
, Madam.« Er stand auf, verbeugte sich anmutig und deutete dann auf den Platz neben sich. »Bitte, erweisen Sie mir die Ehre und leisten Sie mir beim Essen Gesellschaft.« Seine Worte flossen melodisch ineinander über, und seine Sprache hatte einen fremden, aber nicht unangenehmen Klang. Ein Amerikaner aus dem Süden hätte Daisy getippt.
Völlig ausgehungert wollte sie schon auf dem Stuhl Platz nehmen, den er ihr angeboten hatte, doch Northrup hielt sie zurück, indem er sie fester am Arm packte. »Lieber nicht, Lucien.« Northrups Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln, als er Daisy ansah. »Viele Unwissende haben sich schon mit einem Gim an einen Tisch gesetzt, um zu speisen, und sind nie wieder aufgestanden.«
Northrup zog einen Stuhl für Daisy heran, der sich deutlich entfernt von Lucien befand, und setzte sich selbst auf den Stuhl, den Lucien ihr angeboten hatte. »Gift oder Schlafmittel sind ihre beliebtesten Waffen. Teile nie dein Mahl mit einem verzweifelten Gim, Liebes, sonst könnte es dein Letztes sein.«
Lucien lachte. Der tiefe Klang beunruhigte sie trotz seiner Herzlichkeit. »Dieser Vorwurf kränkt mich sehr, Ian.« Sein Lächeln erinnerte an das Entrollen einer Schlange. Er nahm Platz. »Auch wenn er stimmt.«
»Ein Gim?«, fragte Daisy, die endlich ihre Stimme wiedergefunden hatte.
Lucien sah sie mit seinen seltsam grünen Augen an, die im Kerzenlicht zu glühen schienen. » GIM – ist die Abkürzung für Geist in der Maschine,
ma chère
.«
Sie drehte sich zu Northrup um, der sich trotz seines Geredes über Gift mit lässiger Anmut auf seinem Stuhl zurückgelehnt hatte. »Ja, ein GIM . Mit so etwas treffen wir uns hier.«
»Mit so einem.« Luciens gedehnte Sprache klang immer noch weich, nahm aber einen stählernen Unterton an, als er sich an Northrup wandte. »Wenn du schon zu Besuch kommst, Ian, erwarte ich ein gewisses Maß an Höflichkeit.«
Northrup neigte den Kopf. Alle Verspieltheit war aus seiner Miene verschwunden. »Ganz recht. Ich bitte tausendmal um Entschuldigung. Ich habe mich vergessen.« Er legte eine Hand auf Daisys Unterarm. »Daisy, darf ich dir Mr Lucien Stone vorstellen, der ursprünglich aus New Orleans, Louisiana, kommt, und jetzt Leiter der Londoner GIM s ist.«
Lucien nickte würdevoll, während Northrup fortfuhr. »Lucien, ich mache dich bekannt mit …«
»Mit der reizenden Witwe Craigmore«, beendete Lucien den Satz. »Deine neueste Mätresse, wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf.« Als Daisy sich wütend aufsetzte, lächelte er. »Obwohl ich aus zuverlässiger Quelle weiß, dass wir noch gar nicht so weit sind, nicht wahr, meine Liebe?«
»Von dir erwarte ich auch, dass du dich höflich benimmst«, warnte Northrup.
»Mmm.« Mit träger Hand griff Lucien nach einem mit Rotwein gefüllten Glas und nahm einen großen Schluck, wobei es ihm gelang, es für Daisys ausgedörrten Mund einfach köstlich aussehen zu lassen. »Gewiss,
mon ami
.«
Sie legte die Hände in den Schoß, weil sie Angst hatte, sonst nach dem Wein zu greifen. »Wenn ihr beiden endlich fertig seid, euch gegenseitig zu ärgern,
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