Im Bann des Mondes
Happen. Wie soll’n wir’s machen? Von vorne? Oder von hinten?«
Daisy konnte ihn nur entsetzt anstarren. Das sollte der berüchtigte Billy Finger, Mirandas früherer Partner bei Raubzügen, sein? Und Daisy hatte gedacht, sie wäre die Schwester mit dem anstößigen Wissen gewesen.
»Aber vielleicht woll’n Sie’s auch ein bisschen härter, hm? Macht die neunschwänzige Katze Sie an? Ich hätt’ aber auch nichts dagegen, wenn Sie ganz scharf darauf wären, über den Schlingel hier rüberzurutschen.« Bei diesen Worten griff er sich auffordernd in den Schritt.
Endlich fand sie ihre Stimme wieder. »Ach, halten Sie doch den Mund!«
Billy runzelte die Stirn, zuckte dann aber die knochigen Schultern, die in einen kanariengelben Gehrock gehüllt waren. »Okay. Dann also auf die ganz klassische Art. Ich verstehe, Mylady. Sie machen’s einem wirklich nicht leicht. Dann hol’n wir Sie jetzt mal aus den Klamotten raus.«
Er wollte nach ihr greifen, doch sie schlug ihm auf die Hände. »Was? Nein! Reißen Sie sich zusammen, Sie Idiot. Das hier ist doch kein Rendezvous.«
Er sah sie ärgerlich an, während er sich das fettige Haar kratzte, das unter seinem schrecklichen Hut hervorlugte. »Was erwarten Sie denn von einem Mann, wenn Sie ihn in Ihre Kutsche einladen? Ich habe keine Zeit für Süßholzgeraspel mit einer Verrückten.«
»Ich bin hier, weil ich Hilfe brauche«, erklärte sie bedächtig.
Daraufhin wirkte er noch ärgerlicher. »Ich lasse mich doch nicht kaufen. Da sind Sie an der falschen Adresse. Ich bin keine Schwuchtel, die man einfach herumschubsen kann!« Er erhob sich halb, um auszusteigen.
Es zuckte um Daisys Lippen, und sie wusste nicht, ob sie nun lachen oder vor Verzweiflung schreien sollte. »Sie sind doch Billy Finger, oder nicht?«
Billy erstarrte. Langsam drehte er sich um und musterte sie mit berechnendem Blick. »Den Namen hab ich ja seit Jahren nicht mehr gehört.«
Daisy zwang sich dazu, eine Hand auszustrecken und ein, wie sie hoffte, freundliches Lächeln aufzusetzen. »Nennen Sie mich Daisy. Ich bin Pans Schwester.«
Er lachte leise, und seine braunen Augen funkelten verschmitzt und voller Zuneigung. Von Billy Finger, den jetzt alle Burnt Bill nannten wegen seiner verbrannten Arme – ein Andenken an einen heftigen Streit mit Miranda – wusste man, dass er ihrer Schwester sehr zugetan war. Angesichts seines Lächelns hatte Miranda nicht übertrieben. »Oh, Pan. Ich hätte es wissen müssen. Dann geht’s ihr also gut?«
»Sehr gut, und sie bestellt Grüße.« Eine kleine Lüge, da Miranda gar nicht wusste, was Daisy vorhatte. Aber das tat Daisy kein bisschen leid, als sie sah, wie Billy zu strahlen anfing. »Ich entschuldige mich für das Missverständnis, Mr … ähm … Finger. Ich hätte mich gleich zu erkennen geben müssen, aber Ihre … äh … Begeisterung hat mich etwas überrascht.«
»Begeisterung, hm?« Er wackelte mit den schmalen Augenbrauen. »Ich kenne keinen Mann, der mir das vorwerfen würde.«
Er beugte sich vor und hüllte sie wieder in seinen Geruch, der für sie jetzt immer als ›männlicher Krimineller‹ ins Gehirn eingebrannt sein würde.
»Na gut, süßes Schwesterchen der liebreizenden Pan, was für einen Unfug brüten Sie denn nun aus?«
Ian sprang vor der Bruchbude, die den Club mit dem bezeichnenden Namen
Hell
beherbergte, aus der Kutsche. Genau genommen hieß der Schuppen
Heaven and Hell
. Der Himmel war den oberen Stockwerken vorbehalten, während die Hölle unten residierte.
Das baufällige Gebäude neigte sich windschief über die vor Unrat starrende West Street in einer der schlimmsten Gegenden Londons und verriet nicht einmal andeutungsweise, welchen Schlechtigkeiten man hier frönte. Ein paar junge Männer, die sich amüsieren wollten, standen unschlüssig herum und grübelten darüber nach, ob sie an der richtigen Adresse waren.
Ian kannte kein derartiges Zögern. Er war nicht zum ersten Mal hier, und es würde bestimmt auch nicht sein letztes Mal sein. Vor einem Jahr war er nach einer Nacht am Spieltisch aus diesen heiligen Hallen getaumelt und hatte gerade miterlebt, wie Lady Miranda Archer dabei war, die ganze Straße nur mit der Kraft ihrer Gedanken in ein Flammenmeer zu verwandeln. Ein ziemlicher Schock, um es mal vorsichtig auszudrücken.
Doch der heutige Abend war insofern besonders, als es sein erster Besuch des Etablissements war, bei dem er weder nach einer willigen Gespielin noch nach Vergessen in Spiel und Alkohol
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