Im Bann des Mondes
suchte. Der Gedanke ließ ihn leichtfüßig die feuchtkalte Treppe zur Hölle hinuntergehen.
Er blieb vor einer schmiedeeisernen Tür stehen, und der Pflock in seinem Stiefel drückte sich gegen seinen Unterschenkel. Es war ein kleiner Trost, dass die Spitze Fleisch durchbohren konnte, das so hart wie Putz war.
Ian betätigte den Klingelzug am Tor zur Hölle. Einen Moment später ging die Tür auf. Die Gestalt eines lächerlich großen Mannes stand im dunklen Flur vor ihm. Seine schwarzen Augen schimmerten im wabernden Schein des Leuchters, den er hielt.
»Guten Abend, Edmund.« Mehr brauchte Ian nicht zu sagen.
Die schwarzen Augen sahen ihn unverwandt an. Der Mann blinzelte nie. Aber Edmund trat zurück, um Ian einzulassen.
Im Gegensatz zur Fassade herrschte im Innern reiner Luxus. An mit dunkelroter Seide bespannten Wänden waren Gaslampen aus Kristall angebracht. Auf dem Boden lag ein dicker, tiefroter Teppich. Angesichts der Besucherströme in der Hölle wurde er vermutlich häufig ausgetauscht. Solch einen Teppich hinzulegen, war eine Zurschaustellung des gewaltigen Reichtums des Clubs. Ian schritt lautlos darüber.
Man hörte Männer lachen und Frauen kreischen, und in der Luft hing der süße Rauch von Zigarren und der berauschende Duft von Weihrauch, den man aus Indien importiert hatte. Sie gingen an Räumen vorbei, die so elegant eingerichtet waren wie die vornehmsten Häuser Mayfairs. Man sah vergoldete Sessel, stabil genug für zwei Personen, und dick gepolsterte, mit Satin bezogene Sofas für drei oder vier Personen. Und überall, wirklich überall wand sich nacktes Fleisch.
Sie durchquerten einen langen Speisesaal mit blutrot lackierten Wänden. Auf dem Esstisch lag ein Mädchen mit gespreizten Beinen, dessen zarte Brüste zur Decke zeigten. Ob nun abgestumpft oder nicht … Ian war ein Mann und das Mädchen kaum zu übersehen. Sie war mit Früchten bedeckt, von denen einige sich an interessanten Stellen befanden. Sie wand sich, während sich die Männer an ihr gütlich taten.
Ian kannte den Weg, den Edmund nahm. Sie stiegen eine weitere Treppe hinunter, die noch tiefer unter die Erde führte. Das Licht einer Lampe fiel auf Edmunds langes Haar, sodass es sich schneeweiß von seinem schwarzen Schwalbenschwanz abhob. Es wirkte wie Mädchenhaar, dachte Ian und musste den Impuls unterdrücken, sich das eigene Haar zurückzustreichen. Er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, es so lang zu tragen, und entschied, dass Schluss wäre, wenn es ihm bis zur Mitte des Rückens reichte. Doch Leute wie Edmund stellten ihr Anderssein gern zur Schau.
Unten gingen die Sexspiele weiter, aber die Unmenschen, die daran teilnahmen, machten sich auf ganz andere Weise über Fleisch her. Hier bohrten sich Reißzähne hinein, und das Blut floss in Strömen. Doch alle, die daran teilnahmen, taten dies freiwillig, also würde Ian sich kein Urteil erlauben.
Lena wartete bereits auf ihn, als er hereinkam. Klein, zart und ätherisch schmiegte sie sich neben einem knisternden Feuer mit untergeschlagenen Beinen in einen großen, mit schwarzem Leder bezogenen Ohrensessel. Der Feuerschein umschmeichelte die Rundung ihrer schneeweißen Wange, als sie ihn mit roten Lippen katzengleich anlächelte. Wie immer traf ihr Anblick Ian wie ein Schlag. Besonders auffällig war die besondere Art, in der sie ihr rabenschwarzes Haar frisierte: in der Mitte gescheitelt und am Hinterkopf in kleinen Schnecken festgesteckt, während der Rest des Haars offen über den Rücken fiel. Die Frisur erinnerte an fernöstliche Malereien. Der Eindruck wurde noch verstärkt durch die glänzenden Stäbchen, die in ihrem Haar steckten, und das silberfarbene Seidenkleid, in das sie gehüllt war. Sie sah wie eine Puppe aus. Eine schöne, gefährliche Puppe.
Er schärfte seine Sinne, als er näherkam. Ihr kupferartiger Duft hüllte ihn ein.
»Lena.« Er verbeugte sich. »Es ist schon viel zu lange her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
»Ian Ranulf.« Ihre volle, tiefe Stimme täuschte über ihre zierliche Gestalt hinweg. »Immer noch so schön wie der Teufel.« Der Blick schwarzer Augen glitt genüsslich forschend über seinen Körper. »Vielleicht sogar noch schöner mit diesem Haar.«
Er sah ihr Interesse und wusste, was es hieß, ihr beizuliegen: kalt, aufregend, zu gefährlich – daher die Erregung. In den dunkleren Phasen seines Lebens war Ian fast schon süchtig nach diesen Grenzerfahrungen im Bett gewesen. Doch jetzt schenkte er ihr
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