Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition)
untergekommen ist«, sagte Harrtuck mit dem Mund voll Wurst. »Je eher wir hier rauskommen, desto lieber ist es mir.«
In der Gewissheit, dass Soterius die erste Wache halten würde, begaben sich Carroway und Harrtuck für die Nacht zur Ruhe: Der Barde rückte sich eine Bank dichter ans Feuer, Harrtuck machte es sich in einem Sessel bequem. Als sie eingeschlafen waren, trat Tris ans Fenster.
Endlich, zum ersten Mal seit der Tragödie, merkte Tris, wie ihn die Verzweiflung übermannte, und er sackte am Fensterrahmen zusammen und schluchzte lautlos vor sich hin. Die Ungeheuerlichkeit dessen, was geschehen war, die Endgültigkeit des Verlustes, das wachsende Bewusstsein der Gefahr, in der er sich befand – das alles schlug in Wellen über ihm zusammen. Als ihn schließlich der kühle Luftzug, der den Weg durch das geschlossene Fenster ins Zimmer fand, aus seinem Kummer riss, blickte Tris zum sternenklaren Himmel auf. Ihm stockte der Atem: Dort, ein Zeichen für alle, die es sahen, brannte ein schwacher Ring um den vollen Mond, Zeugnis dessen, dass heute Nacht ein König gestorben war. Den Blick immer noch auf den Himmel geheftet, sank Tris auf ein Knie und legte sein Schwert flach auf die geöffneten Handflächen.
Chenne, Rächerin des Unrechts, höre mich! Bei aller Magie Margolans, bei den Seelen meiner Großmutter und meiner Familie, lass mich das Werkzeug deines göttlichen Strafgerichts sein! Nimm mein Leben, nimm meine Seele, was immer du verlangst, aber lass mich vergelten, was heute Nacht getan wurde!
Von überall zugleich und nirgendwo ertönte eine Frauenstimme, die so schön war, dass sie Tris bis auf den Grund der Seele drang, und so gewaltig, dass ihm bei ihrem Klang das Herz bis zum Halse schlug.
Wie bei deiner Großmutter vor dir nehme ich dein Gelübde an, sagte die Stimme, und Tris spürte, wie ihn eine unsichtbare Präsenz streifte, die weit mächtiger war als irgendein Geist Shekerishets, obwohl sich außer dem Wind nichts in der Dunkelheit bewegte. Dann, so schnell wie die Präsenz gekommen war, war sie wieder verschwunden.
»Alles in Ordnung bei dir?«, erkundigte sich eine sehr menschliche Stimme hinter ihm.
Tris schrak auf und drehte sich um und sah Soterius, der mit den Armen in den Hüften dastand. Seine Miene zeigte zwar Besorgnis, doch nichts darin gab Tris Grund zu der Annahme, dass sein Freund die Stimme gehört hatte, die in seinen eigenen Ohren noch widerhallte – die Stimme der Lady. Tris ließ sein Schwert sinken und schob es ohne eine Erklärung wieder in die Scheide, dann stand er auf.
»Ich will alles wissen, was du und Harrtuck über Krieg wissen«, sagte Tris ruhig und merkte, dass seine Stimme klar und kräftig war. »Und ich werde alles annehmen, was du mir über den Umgang mit dem Schwert beibringen kannst.« Sie sahen einander fest in die Augen, und Tris wusste, dass Soterius verstand, welche Art von Verrat sie zu begehen vorhatten und was dabei auf dem Spiel stand. »Ich weiß, was für ein König Jared sein wird. Ich muss ihn aufhalten.«
Soterius nickte sachlich. »Ich dachte mir schon, dass du zu diesem Schluss kommen würdest«, meinte er, und zu Tris’ Verblüffung sank er auf ein Knie und ergriff die Hand des Prinzen in einer Geste der Treue. »Was ich deinem Vater gewesen bin, das will ich auch dir sein«, sagte Soterius mit vor Bewegung zitternder Stimme. »Bei der Lady, ich werde dich auf Margolans Thron sehen, mein Lehnsherr«, schwor er, und als er seine Augen zu Tris hob, waren sie tränenfeucht. »Ich kann nicht zulassen, dass dieses Monster das Land regiert.«
Tris war so überwältigt, dass es einen Augenblick dauerte, bis er die Sprache wiederfand. »Ich danke dir«, gelang es ihm schließlich zu sagen; er bat seinen Freund aufzustehen. Ein Schauder durchlief ihn, der diesmal allein von der kalten Luft verursacht wurde, die durch das undichte Fenster blies. »Doch bevor wir all dies machen können«, fügte er hinzu, »sollten wir uns vielleicht am besten etwas Schlaf zurückholen, sonst wird die Nachtluft zu Ende bringen, was Jared nicht – noch nicht – gelungen ist.«
Tris streifte die Stiefel ab und ließ sich, unbeeindruckt von Harrtucks kräftigem Schnarchen, in voller Kleidung in die warmen Decken seines Bettes sinken. Obwohl er bezweifelte, dass die Bilder dieser Nacht ihn Schlaf finden lassen würden, setzte sich die Erschöpfung schließlich durch und rettete ihn vorübergehend vor den dunklen Erinnerungen.
KAPITEL DREI
D as Geräusch
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