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Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition)

Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition)

Titel: Im Bann des Nekromanten: Die Chroniken des Beschwörers - 1. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Martin
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Brunnen hinab und schrie entsetzt auf. »O du liebe Göttin, da ist sein Hut!«, klagte sie und raufte sich die Haare, und bevor Tris reagieren konnte, hatte sie sich in den tiefen Brunnenschacht gestürzt. Doch körperlos, wie sie war, hätte er ohnehin keine Möglichkeit gehabt, die tragische Neuinszenierung zu verhindern.
    Mit pochendem Herzen starrte Tris in die stille Tiefe des Brunnens hinab und konnte die Tragödie erahnen, die den Geist des Mädchens an diesen Ort band. Ohne Zweifel hatte sie ihren kleinen Sohn einen Augenblick lang unbeaufsichtigt gelassen, und als sie zurückkam, musste sie feststellen, dass er auf die Brunnenumfassung geklettert war, um hineinschauen zu können, und in seinen Tod gestürzt war. In ihrem Gram war sie ihm nachgesprungen und war jetzt dazu verdammt, den schrecklichen Moment in alle Ewigkeit zu wiederholen.
    Vielleicht aber auch nicht , dachte Tris. Er legte eine Hand auf den kalten Stein des Brunnens und schloss die Augen. Er spürte den Nervenkitzel der Herausforderung, als er beschloss, etwas zu versuchen, was er kaum mit seinem Verstand umreißen konnte. Seinen Instinkten mehr als seinem Denken vertrauend, streckte er seinen Geist aus und griff nach dem unglückseligen Mädchen in dem stillen Gespensterreich, in dem er Kait im Schloss flüchtig zu sehen bekommen hatte. Nach einem Moment spürte er ein Ziehen als Antwort, das stärker wurde, als er sich darauf konzentrierte und es mit seinem Willen in Substanz zwang. Als er die Augen öffnete, stand sie vor ihm, durchsichtig, aber sichtbar.
    »Ich will dir helfen«, sagte er sanft. Vielleicht , dachte er, wenn ich Kaits Geist hier halten kann, kann ich diesem Geist helfen, hinüberzugehen, doch wie genau er das anstellen sollte, davon hatte er keine Vorstellung.
    »Ich werde nicht ohne meinen Sohn gehen.«
    »Du hast deine Liebe bewiesen, indem du bei deinem Sohn geblieben bist. Du hast deine Schuld bezahlt. Du darfst ruhen.«
    Wieder sah sie ihn mit einem Blick an, der halb verrückt vor Kummer war. »Nicht ohne meinen Sohn.«
    Daraufhin drehte sich Tris wieder zum Brunnen um und starrte in die dunkle Tiefe. Er schloss die Augen, konzentrierte sich und streckte eine Hand in Richtung des Wassers aus. Nichts rührte sich. Obwohl er spüren konnte, wie er rasch ermüdete, versuchte er es noch einmal, und wieder erfolgte keine Reaktion. Als er die Hand zum dritten Mal in die Dunkelheit ausstreckte, fühlte er ein leises Ziehen als Antwort, und als er mit aller Kraft seines Willens selbst zog, nahm er allmählich die Präsenz eines anderen Geistes wahr, klein und schwach. Als er die Augen öffnete, saß der Geist eines kleinen Kindes auf dem Brunnenrand, und der Frauengeist stieß einen Laut des Wiedererkennens aus und stürzte zu ihm hin und drückte ihn an die Brust.
    »Verirrt!«, weinte der Junge und klammerte sich an seine Mutter. »Verirrt im Dunkeln!«
    Tris merkte, wie es ihm die Kehle zuschnürte, als er zusah, wie die beiden Schatten einander festhielten. Endlich hob er zum Abschied die Hand. »Es ist Zeit für euch zu gehen.«
    Die Frau sah zu ihm auf, und ein tiefer Friede lag in ihrem Blick, während sie ihr Kind fest umfasst hielt. »Ich weiß nicht, durch welche Macht Ihr diese Dinge tun könnt, doch ich danke Euch«, sagte sie mit einem unbeholfenen Knicks. »Ihr müsst der Auserwählte der Lady sein.«
    »Wollt ihr jetzt zu Ihr hinübergehen?«, fragte Tris, und die Geisterfrau nickte.
    »Wir sind müde«, sagte sie. »Jetzt, da wir zusammen sind, ist es Zeit zu ruhen.«
    Tris streckte die Hand aus, wie es seine Großmutter immer getan hatte über die, die am Sterben waren. Er versuchte angestrengt, sich an Bava K’aas Worte bei diesen Gelegenheiten zu erinnern, und tat sein Bestes, um dem Gedanken gerecht zu werden, auch wenn er den genauen Wortlaut nicht wusste. Vor Anstrengung dröhnte ihm der Kopf und schmerzte so sehr, dass er nur noch verschwommen sah.
    »Schlafe, Schwester«, sagte er mit einer Stimme, die nur wenig lauter als ein Raunen war. »Lass die Winde dich zu deiner letzten Ruhe tragen. Lass den Fluss dich leiten und die warme Erde dich willkommen heißen. Du bist willkommen in den Armen der Lady. So sei es.« Während er sprach, blitzte das Bild einer alten Frau, die in einem tiefen, großen Kessel rührte, in seinem Verstand auf, und als er die Augen wieder öffnete, waren die Umrisse von Mutter und Kind im Verblassen begriffen. Der Kopf des Jungen ruhte auf der Schulter seiner Mutter; die

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