Im Bann des Omphalos
ihn gebeten hatte: seinen Geist schärfen und an eine andere, an seine eigene Welt denken; auf irgendeine Weise versuchen, die Wirklichkeit zu verändern.
Aber wie?
Er schritt zum Altar und drehte sich vor ihm zu den Andächtigen um. Dicht gedrängt starrten ihm furchterfüllte Gesichter entgegen. Er sah sie, die Tempelwachen in ihrer glitzernden Rüstung mit glänzendem Schwert; die Priester mit ihren Federkappen; die Königin; Albasar und die beiden, mit denen er so viel erlebt hatte; Taneft – sie alle waren nur Gestalten seiner Einbildung!
Sie waren nicht wirklich! Sie konnten nicht wirklich sein. Sie waren Darsteller in einem transdimensionalen Sensorama in den Kulissen der Opferhalle mit ihrer edelsteinbesteckten Decke, dem Mosaikboden und dem Haufen toter Opfer, die wie zerbrochene Puppen zu einer Seite des Altars lagen. Das Blut war Farbe, wie sie für solche Aufführungen benutzt wurde.
Er gehörte nicht hierher.
Das hier war nicht seine Welt. War nie seine Welt gewesen.
Er gehörte dorthin, wo Schiffe die Sterne miteinander verbanden, und die Naturgesetze wissenschaftlich bestimmbar waren; wo Atome ihre Energie freigaben, und Götter Träume von Dichtern waren und Figuren in Geschichten für Kinder; wo Zauberer und Königinnen und Barbaren mit Schwertern und Speeren einen in Filmen unterhielten; wo Beschwörungen Gleichungen waren, magische Symbole Schaltkreise, Dämonen elektronische Impulse, Zauberei Wissenschaft und Zauberer Wissenschaftler, und wo Könige, Königinnen, Burgen und Krieger nichts weiter als Spielfiguren waren.
Ein eisiger Wind blies hinter ihm. Er wehte an ihm vorbei, berührte ihn nicht, als wäre er für ihn überhaupt nicht vorhanden. Aber Mark sah, wie er kleine Unreinheiten auf dem Boden aufwirbelte, wie er die Fackeln fast zum Erlöschen brachte. Für ihn war er ein Wind ohne jegliche Substanz, der nur durch seine Wirkung zu erkennen war.
Albasar hob die Hände und stieß eine Reihe archaischer Silben aus. Einige Priester rannten auf ihn zu, um ihn zum Schweigen zu bringen, doch ihre Schritte wurden immer langsamer, bis sie schließlich überhaupt nicht mehr weiterkamen und mit verzweifelter Miene hilflos stehenblieben. Auch die Wachen vermochten sich nicht zu bewegen und glichen Statuen.
Amüsant, dachte Carodyne, aber etwas paßte nicht hierher. Etwas mußte korrigiert werden.
Im offenen Sarg bewegte sich etwas. Es begann zu schimmern, leuchtete auf, erlosch, um gleich wieder in schillernden Farben aufzuleuchten. Der ausgedörrte Leichnam bewegte sich, schien sich plötzlich wiederzubeleben. Krallenfinger hoben sich wie flehend, setzten Fleisch an, wurden fest und jung. Auch der Schädel bedeckte sich mit Fleisch und straffer jugendlicher Haut. Haar wuchs in goldener Fülle, wallte um sanftrunde Schultern und hohe pralle Brüste.
Doch abrupt verlor der Leichnam seine Jugendlichkeit wieder und war eine Mumie wie zuvor.
Carodyne runzelte die Stirn.
Wieder bewegte sich das – Ding im Sarg, wand sich, als wollte es sich aus der Enge befreien. Farben huschten in stroboskopischem Muster darüber, so daß es einen Moment die Mumie war und im nächsten ein junges liebreizendes Mädchen. Plötzlich glühte es in einem dunkelroten Feuer, und Mark hörte einen verzweifelten Schrei in seinem Kopf:
»Nein! Lieber Gott, nein! Großer Kanin denk an unseren Pakt!«
Der Schrei wurde zu einem Wimmern, klang, als kratze ein Griffel auf einer Schiefertafel. Das Feuer im Sarg brannte heller und verschlang alles, was er enthalten hatte.
»Es ist vollbracht!« Albasar senkte die Arme. »Der Geist Mukalashs ist nicht mehr, und Iztima ist frei.«
Sie stand neben dem Hohenpriester und preßte die Hände aufs Gesicht. Sie schwankte, als würde sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. Doch dann ließ sie die Hände fallen und blickte geradewegs in Carodynes Augen. Eine wunderschöne Frau, dachte er, der der älteste Zauber der Welt eigen war. Und während er sie bewundernd betrachtete, wurde die Szene um ihn wieder wirklicher. Er nahm den Geruch des Blutes und Räucherwerks auf, hörte das Scharren von Sandalen auf dem Mosaikboden und schweres Atmen.
Das Fackellicht flackerte. Eine Tempelwache bewegte sich, und ihr Schwert klirrte leicht gegen den Harnisch. Eine andere umklammerte den Schwertgriff und starrte mit verstörten Augen auf die schwarze Scheibe.
Und wieder wehte der eisige Wind.
Sterbliche, jetzt müßt ihr bezahlen!
Die Stimme war kalt wie Eis und drängte sich tief in das
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