Im Bann des Omphalos
vielleicht ein, daß deine schwächliche Göttin den mächtigen Kanin verdrängen kann? Ich sage dir, daß ich ihm die halbe Stadt zum Opfer bringen werde, wenn ich damit seine Gunst wiedererringen kann. Ja, er wird uns wieder wie zuvor ungeheure Macht verleihen und seinen Priestern Geheimnisse verraten, wie kein anderer Sterblicher sie je erfährt.«
»Ein Gott kehrt nicht zurück, falscher Priester! Nicht einmal eine so schändliche Kreatur, wie Ihr sie anbetet. Er wird Euch nicht mehr in Gnade aufnehmen. Ich sage Euch, daß Euch und den Euren ein grauenvolles Ende bevorsteht. Ganz deutlich lese ich es.«
»Schweige!« Taneft hob die Hand und beschrieb mystische Zeichen. Albasar blickte ihn nur verächtlich an, denn seine Beschwörung zeitigte keinerlei Wirkung.
»Seht Ihr, Priester? Ihr seid nicht mehr in der Lage, Zauberkräfte zu rufen. Bald müßt Ihr den Preis bezahlen für alles, was Ihr gefordert habt. Ich möchte nicht um alles in der Welt in Eurer Haut stecken.«
»Noch ein Wort«, drohte Taneft, »und ein Schwertgriff wird dir die Zähne einschlagen.« Er wandte sich an die Wachen. »Schafft sie in den Tempel, in die Opferhalle. Und nehmt den Sarg mit!«
»Nein!« protestierte Iztima eilig. »Es ist mir völlig egal, was Ihr mit den Gefangenen macht, solange sie sterben, aber der Sarg muß in meine Gemächer gebracht werden. Wachen! Kümmert euch darum!«
Als sie zögerten, wuchs ihr Grimm.
»Wachen! Gehorcht!«
»Es sind Tempelwachen«, erklärte ihr Taneft kalt. »Ergebene Männer, die nur mir gehorchen, aus Furcht, ihr Geist müsse sonst für alle Ewigkeit in der Äußeren Finsternis heulen. Und versucht nicht, mich mit Eurer Hexerei zu betäuben. Sie ist genau so wirkungslos wie meine Zauberei. Kommt jetzt! Zum Tempel! Wir vergeudeten bereits viel zu viel Zeit.«
Albasar schritt neben Carodyne. Die Wachen fürchteten sich offenbar vor ihnen, denn sie hielten einen beträchtlichen Sicherheitsabstand von ihnen, so daß sie auch nicht hören konnten, als Albasar Mark flüsternd fragte: »Stimmt es, daß Ihr durch den Kampf mit Kanin Kräfte erlangt habt, wie Ihr erwähntet?«
Carodyne schüttelte den Kopf.
»Und doch waren Eure Worte mehr Wahrheit, als Ihr selbst ahnt. Als ich in Euren Geist schaute, um zu entdecken, wo Mukalashs Leichnam verborgen war, stellte ich fest, daß Ihr kein gewöhnlicher Mensch seid, der Kanin auch nie hätte schlagen können. In Euch stecken gewaltige Kräfte und ein Geheimnis, das ich nicht verstehe. Ihr seid hier und doch nicht hier. Ein Teil Eures Geistes gehört an einen anderen Ort mit unvorstellbarer Magie und zauberhaften Errungenschaften, die meine geringen Zauberkünste unbedeutend erscheinen lassen. Und doch ist Euch diese Magie versperrt. Habe ich recht?«
Wissenschaft und Forschung, eine Technologie, die dem Menschen die Sterne gegeben hatte. Trotzdem schienen auf dieser Welt ein paar in die Luft beschriebene Zeichen und gemurmelte Worte mehr Wirkung zu haben, als alles, was er wußte. Wie ein Genie in einer Zelle, dachte Carodyne bitter. Ein Mann, der die Atomstruktur des ihn haltenden Metalls kannte, aber dem die Säge fehlte, sich zu befreien.
»Die Wirklichkeit«, fuhr der Zauberer fort, »ist der Eindruck der Welt auf unsere Sinne. Ein ausgebildeter Adept kann sie so verändern, daß die Berührung eines erhitzten Eisens seine Haut nicht verbrennt. Das habe ich selbst gesehen, und in gewisser Weise vermag ich es auch. Doch wir sind alle die Gefangenen der Welt, in die wir geboren wurden, und so sehen wir die Wirklichkeit alle gleich.« Er machte eine kurze Pause, ehe er sagte: »Aber wenn ein Mensch von einer anderen Welt kommt, wäre seine Wirklichkeit dann anders?«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Ich brauche Eure Kräfte«, flüsterte Albasar. »Tanefts Zaubermächte sind noch sehr groß, auch wenn ich sie verleugnete und es mir gelang, seinem kleinen Zauber entgegenzuwirken. Aber im Tempel könnte es durchaus sein, daß Kanin auf ihn hört. Und wenn er es tut, werden wir alle unter unvorstellbaren Martern sterben. Könnte ich jedoch mit Eurer Hilfe seine Kraft verringern, wird vielleicht noch alles gut.«
»Ihr wißt, daß ich Euch gern helfe«, versicherte ihm Carodyne, »aber was kann ich tun?«
»Schärft Euren Geist und denkt an jene andere Welt. Macht sie wirklich, denn so werdet Ihr Verwirrung stiften – und möglicherweise sogar mehr. Götter existieren nur, weil ihre Anhänger an sie glauben.«
Finde dich selbst, dachte
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