Im Bann des roten Mondes
die Fäuste vors Gesicht. »Wer ist das? Wer ist das?«, stammelte sie.
Einer der Männer bückte sich, zog dem Toten den Schleier vom Gesicht und senkte die Fackel.
»Menahil!«
XXIV
Sie begruben ihn mitten in der Nacht, im Licht des rötlichen Mondes. Arkani fragte Désirée, ob er sie eine Weile allein lassen konnte. Sie nickte nur stumm.
Während zwei der Sklaven das Grab im weichen Sand aushoben, wurde Menahils Leichnam gewaschen. Die Tuareg benutzten dazu das Trinkwasser aus den Lederschläuchen. Dann kleideten sie ihn wieder ein und umwickelten ihn mit einem weißen Tuch. Aus bleichen, trockenen Ästen bauten sie eine provisorische Trage, die von vier Männern angehoben wurde. Der Prozession voran ging in Ermangelung eines Korangelehrten einer der Krieger. Sie betteten Menahils leblosen Körper auf die rechte Seite, den Kopf gen Osten gewandt. Dann schaufelten sie das Grab zu, schichteten Steine und trockenes Holz darüber.
Vom Felsen her hörte Désirée gedämpft murmelnde Stimmen. Die Männer beteten für Menahils Seele. Es dauerte nicht sehr lange, dann kehrten sie zurück.
Arkani setzte sich zu Désirée und nahm sie vorsichtig in den Arm. Ihr war schrecklich kalt, ihre Zähne schlugen klappernd aufeinander, und ein unaufhörlicher Tränenstrom rann über ihre Wangen.
»Er hat seine Ehre verloren«, sagte Arkani wie in Gedanken, »er hat die Hand gegen eine Frau erhoben.«
Désirée senkte den Kopf, dann lehnte sie ihn an seine Schulter. Sie hatte nur einfach Angst und fand es tröstlich, ihn neben sich zu wissen.
»Warum?«, fragte sie leise. »Er war doch kein schlechter Mensch, oder?«
»Nein, das war er nicht.« Seine Finger strichen über den Stoff seiner Gandura. »Er hatte nur eine andere Meinung.«
Sie versuchte seinen Blick einzufangen. »Welche Meinung?«
»Was dich betrifft. Nur war es nicht die Entscheidung der djemaa .«
Sie senkte den Kopf. »Ich weiß. Ich bin ein Eindringling, ein Fremdkörper in dieser Welt, die so ganz anders ist als meine. Wie kann ich erwarten, dass alle mich willkommen heißen.« Sie schluckte.
»Es geht weniger um deine Person als ...« Er brach ab.
»Ihr befürchtet Probleme mit den Franzosen, nicht wahr?«
Er nickte schwach.
»Dann sollten wir uns beeilen, damit ihr mich bald wieder los seid.« Es sollte tapfer klingen, aber ihre Stimme zitterte.
Arkani spürte es sofort. Sein Arm schloss sich fester um ihre Schulter.
»Halt mich fest.« Ihre Schultern wurden von einem leisen Beben ihres Körpers geschüttelt.
Er schlang beide Arme um sie, und sie legten sich in den warmen Sand. Später zog er die Decke über sie beide und hielt sie fest, bis ihre gleichmäßigen Atemzüge ihm verrieten, dass sie eingeschlafen war. Er zog seinen tugulmust vom Gesicht und legte sacht seine Wange an ihr Haar. Diese Berührung schenkte ihm ein wundervolles Gefühl des Friedens.
Als der Morgen graute, erwachte sie in seinen Armen. Sie hatte eine Nacht mit ihm verbracht. Aber diese Nacht war anders, als sie es sich gewünscht hätte. Einzig und allein das Gefühl, nicht allein zu sein in dieser unwägbaren Gefahr, gab ihr Trost. Der Schock über den in letzter Minute vereitelten Mordanschlag saß viel zu tief in ihr, als dass sie zu einer anderen Regung fähig gewesen wäre. Es kam ihr vor wie ein Albtraum, den der aufziehende Morgen auslöschen würde.
Doch die grausame Wahrheit holte sie ein. Eines der Meharis würde heute ohne seinen Reiter gehen.
Verzweifelt presste sie die Fäuste gegeneinander. Sie, nur sie allein war schuld, dass Blut geflossen war und ein Mensch sein Leben gelassen hatte. Menahil hatte Recht, sie brachte Unglück über die Tuareg. Sie sollte sich keinen Illusionen hingeben, sondern ihre Mission ganz schnell zu Ende bringen und dann unverzüglich nach Algier zurückkehren. Dort würde Philippe sie erwarten. Sie würde sich bei ihm entschuldigen, und alles würde wieder gut werden.
Ihr Körper war noch taub vor Erschöpfung und Kälte. Sie hatte nur einige getrocknete Datteln gegessen und eine Hand voll Wasser getrunken. Das Morgengrauen ließ die Konturen verschwimmen. Mit steifen Bewegungen legte sie dem Mehari den Sattel auf. Das Tier protestierte lautstark und warf unwillig den Kopf herum. Nur mit Mühe konnte sie dem Biss ausweichen. Arkanis Sklave Touhami eilte herbei, doch sie schickte ihn mit einer unwilligen Handbewegung weg. Sie versuchte es erneut, und diesmal schaffte sie es.
Arkani hatte nicht die Absicht, ihr zu helfen, aber
Weitere Kostenlose Bücher