Im Bann des roten Mondes
einen Tisch, ein Bett. Davon war fast nichts mehr übrig geblieben. Es war zerschlagen worden, zum Teil verbrannt. Es sah aus, als hätten Dschinnen darin gewütet. Er fand eine eiserne Kanne, um Tee zuzubereiten, doch ihr Boden war durchgebrannt. Einen kaputten Kamelsattel, an dem getrocknete Hautstreifen hingen. Die Bissspuren verrieten, dass es seine letzte Nahrung gewesen war. Eine Blechdose, in der Munition aufbewahrt worden war. Sie war leer. Es war der letzte Schuss, den er sich selbst gegeben hatte.
Schaudernd wandte Arkani sich um, nahm das Kamelfell mit und kehrte zu Désirée zurück. Sie hatte in der Zwischenzeit ein flaches Grab ausgehoben. Erschöpft kniete sie daneben, ihre Hände bluteten. Das Haar hing ihr ins schweißnasse Gesicht, ihr Atem ging stoßweise, und ihre Augen glänzten fiebrig.
»Es gab nichts«, flüsterte er. »Nur das.«
Langsam wandte sie den Kopf zu ihm. Dann erhob sie sich, nahm ihm das Fell ab und legte es neben ihren toten Vater. Als Arkani ihr helfen wollte, wehrte sie ab. »Du bist ein Edler, Arkani. Es ist nicht deine Sache, diese Arbeit zu tun.«
Sie rollte die Leiche auf das Fell und wickelte sie darin ein. Das Gewehr, das der Tote immer noch umklammert hielt, beließ sie ihm. Unter größter Anstrengung wälzte sie das Bündel zum Grab und gab ihm dann einen Stoß. Sie benötigte eine Weile, um Atem und Kraft zu schöpfen, dann erhob sie sich.
»Verzeih mir, Vater, ich war nie eine fleißige Kirchgängerin. Wie du ja auch nicht. Ich hoffe, mein Gebet reicht, um dich sicher hinüberzugeleiten.« Dann faltete sie die Hände. »Vater unser, der du bist im Himmel ...«
Arkani stand wenige Schritte abseits und betete auf seine Weise um das Seelenheil des alten Mannes.
Als sie ihr Gebet beendet hatte, kniete Désirée nieder und scharrte Schutt und Steine in das Grab. Mit jeder Hand voll Erde verschwand ein Teil des verwitterten Kamelfells darunter. Zum Schluss schichtete sie größere Steine auf. Aus zwei bleichen Ästen, die unter dem Baum lagen, baute sie ein schlichtes Kreuz und steckte es ans Kopfende des Grabes. Noch einen Augenblick verharrte sie mit gesenktem Kopf. Dann wandte sie sich zu Arkani um. »Gehen wir.«
XXX
Die Meharis lagen mit gefesselten Beinen unter einem Felsvorsprung. Zwischen ihnen hockte Touhami. Von ihm war nur ein Stück seines dunklen Gewandes zu sehen.
Als sich Arkani und Désirée näherten, hob er vorsichtig den Kopf und spähte über den Rücken des Kamels. Dann sprang er auf und rannte auf sie zu. Mit einem Seufzer der Erleichterung fiel er Arkani um den Hals.
Die Felsen sandten dunkle Schatten aus, die wie Krakenarme über den Boden krochen. Sie umschlangen alles und sogen es in sich auf. Bald verwischte die Dämmerung die Konturen, und die Farben vermischten sich zu einem dunklen Violett. Eilig sammelte Touhami die restlichen Holzstückchen auf und legte sie ins Feuer. Er vermied die Blicke zu Désirée. Er fragte nichts. Er sah, dass sie geweint hatte.
Leere und Schweigen, Stein und Sand. Die Sahara war ein verlorenes Paradies. Die Bilder an den Felswänden waren stumme Zeugen dessen, was längst vergangen war. Elefanten und Giraffen, Antilopen und Rinderherden. Kämpfende Männer und tanzende Frauen. Jetzt hausten hier nur noch die Geister. Wo sich staubige Täler hinzogen, rauschten einst wilde Flüsse. Wo der Wind mit seiner allgegenwärtigen Kraft die Steine schliff, wiegten sich einst Palmen. Uralte Tamariskenbäume krallten sich, der Lebensfeindlichkeit der Wüste zum Trotz, in das klüftige Lavagestein und sogen jede winzige Feuchtigkeit heraus. Eidechsen und Schlangen, Skorpione und unscheinbare Mäuse lebten im Schatten dieser Bäume. Winzige Inseln des Lebens inmitten einer toten Welt.
In Désirée breitete sich tiefe Resignation aus. Müde ließ sie ihre Augen schweifen. Was hatte sie überhaupt hier verloren, Tausende Kilometer von zu Hause entfernt? Zu Hause! Was für ein seltsames Wort. Wo war sie zu Hause? In Paris? In den Ruinen von Karthago? In den antiken Tempeln von Delphi? Oder gar hier in der Wüste? Wo gehörte sie hin?
Touhami röstete Hirsefladen im heißen Sand, und Arkani bereitete den Tee, während Désirée apathisch gegen die Flanke ihres Meharis gelehnt saß und in die Luft starrte. Das Feuer brannte nur klein, es gab wenig Holz und noch weniger getrockneten Kameldung. Den hatte Touhami sorgsam gesammelt und Tag und Nacht das Feuer brennen lassen. Er fürchtete sich. Doch niemals würde er es
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