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Im Bann des roten Mondes

Im Bann des roten Mondes

Titel: Im Bann des roten Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hastings
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zugeben, niemals hätte er die Treue zu seinem Herrn aufs Spiel gesetzt. Touhami wusste, dass sie noch eine Nacht hier verbringen mussten. Es wäre tödlich gewesen, im Dunkel den Rückweg durch die unwegsamen Schluchten zu suchen.
    Er verbarg seine Nervosität hinter seiner Geschäftigkeit. Er knetete den Hirseteig mehr, als notwendig war. Er formte die Fladen einmal, zweimal, ein drittes Mal und begann wieder von vorn. Arkani tat so, als bemerke er es nicht, Désirée bemerkte es überhaupt nicht. Sie war mit sich selbst beschäftigt.
    Seit sie ihren Vater beerdigt hatte, hatte sie kein Wort mit Arkani gewechselt. Jeder blieb mit seinem Schweigen allein. Ihre Tränen waren versiegt, dafür floss ihre Trauer umso stärker. Sie hatte immer noch nicht begriffen, warum geschehen konnte, wie es geschehen war. Sie wusste nur, dass es geschehen war. Und dass sie allein war. Etwas in ihr war abgestorben, ein Teil ihres Lebens vorbei.
    Mechanisch griff sie zu, als Arkani ihr den Tee reichte. Sie trank ihn, um ihren Körper am Leben zu erhalten. Ihr Geist war umnebelt. Ihre Gedanken flogen Spiralen durch einen Raum voller Mysterien. Hier lebten Geschöpfe, die sich ihrem Verstehen entzogen. Waren es Situationen wie diese, die den Menschen glauben ließen? War es das Übersinnliche, das Unverständliche, das Körperlose, das den Geist überforderte? Klammerte sich der Mensch deshalb an das Unvermeidliche, die höhere Gewalt? Oder war es nur das Irren des Menschen selbst, das ihn in sein Unglück trieb?
    Désirée wusste es nicht. Wie die eigenartigen Spiralen und Muster auf den Felswänden bewegten sich ihre Gedanken, ziellos, formlos. Es war die Wüste, die den Menschen Demut lehrte, und dass er vieles als Fügung des Schicksals hinnehmen musste: eine Krankheit, einen Unfall, das Versiegen des Wassers, den qualvollen Durst, den Wahnsinn, den Tod.
    Désirée blickte hinüber zum Feuer, wo Arkani und Touhami Seite an Seite saßen. Nichts deutete auf einen Standesunterschied zwischen ihnen hin. Sie saßen da, dicht am Feuer, und schwiegen. Sie nahmen das Schicksal ebenso hin, klaglos, still. Es war keine Resignation, kein Mangel an Sensibilität. Diese Haltung erlaubte ihnen, die Tragödien des Lebens mit Würde zu ertragen. In diesem Augenblick beneidete Désirée sie darum.
    Diese Menschen in ihren blauen Gewändern hatten von Geburt an gelernt, dass der Tod dem Leben so nah war wie das Lid dem Auge. Irgendwo im fernen Europa hatte Désirée diese Tatsache verdrängt. Jetzt kam sie ihr mir aller Deutlichkeit zu Bewusstsein. Die Wüste tötete alle, die keine Achtung vor ihr hatten. Welch eine Anmaßung des Menschen zu glauben, sie bezwingen zu können.
    Müde legte sie den Kopf an das weiche Fell des Kamels. Die Wärme des Tierkörpers schenkte ihr Trost. Touhami begann leise zu singen. Irgendwann fiel Arkani in den monotonen Gesang ein. Das kleine Feuer brannte wie ein einsamer Stern inmitten einer unendlichen Dunkelheit.
    Im zeitigen Morgengrauen brachen sie auf. Sie verzichteten sogar darauf, Tee zu kochen. Das Feuer war erloschen. Touhami scharrte Sand über die Stelle. In wenigen Stunden würde nichts mehr daran erinnern, dass sie hier gewesen waren.
    Sie bestiegen ihre Meharis und ritten aus den engen Schluchten des Gebirges hinaus. Mit jedem schaukelnden Schritt ihres Kamels entfernte sich Désirée weiter von dem Ort ihres Schmerzes. Ihr Vater hatte die Wüste geliebt. Er war für immer zu ihr gegangen. Noch wühlte der Schmerz in ihr. Dass dieser Abschied für immer war, war nur schwer zu begreifen.
    Désirée versank in einen Dämmerzustand. Der hitzeflirrende Horizont schwankte und verzerrte die Entfernungen. Gleißend hell zerschmolz das Licht zu einem Brei aus Quecksilber. Flimmernde Trugbilder narrten das Auge. Die kühlen Bergschluchten versanken hinter ihnen. Désirée drehte sich nicht um. Man darf nicht zurückschauen.
    Sie bekam quälenden Durst. Der Verlust des Wassers machte ihrem Körper zu schaffen. Sie hätte nicht weinen dürfen.
    Nicht sie ritt durch die Wüste, sondern die Wüste zog an ihr vorbei. Wie eine überdimensionale Drehscheibe verschob sich fast unmerklich die Landschaft. In ihrer Kargheit und Wildheit war sie aufregend schön. Gleichzeitig verharrte sie in einem ruhigen Geisteszustand, der sich auf Désirée übertrug. Es war eine Trance, die sich ihrer bemächtigt hatte.
    Ihre Zunge klebte am Gaumen, und dann drehten sich all ihre Gedanken nur noch um Wasser. Sie dachte an Regen, an

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