Im Bann des Vampirs: Fever Saga 1 (German Edition)
herumlungerten und die späte Nachmittagssonne genossen, suchte ich nach Gründen für Alinas ungewöhnliches Verhalten an diesem College. Die Kurse, die im Rahmen des Austausch-Programms angeboten wurden, sollten das kulturelle Interesse fördern, und meine Schwester, die im Hauptfach Englisch studierte und eine Doktorarbeit in Literatur schreiben wollte, hatte sich in Kurse wie Cäsar im keltischen Gallien und Die Auswirkungen der Industrialisierung im Irland des 20. Jahrhunderts eingeschrieben. War es möglich, dass ihr diese Kurse einfach nicht behagt hatten?
Das konnte ich mir nicht vorstellen. Alina war immer wissbegierig gewesen und hatte sich für alles interessiert.
Ich seufzte und bereute augenblicklich, so tief Luft geholt zu haben. Meine Rippen taten weh. Am Morgen war ich mit jeder Menge blauer Flecken quer über dem Oberkörper aufgewacht. Ich konnte nicht einmal einen BH tragen, weil der untere Rand und die Bügel in die Schwellungen schnitten. Also hatte ich ein Spitzenhemd mit winzigen gestickten Rosen am Ausschnitt unter einen pinkfarbenenPulli angezogen, der meine auffallend pink lackierten Finger- und Fußnägel aufs Trefflichste ergänzte. Dazu trug ich eine schwarze Capri-Hose, einen breiten silbernen Gürtel, silberne Sandalen und eine kleine metallicfarbene Handtasche, für die ich den ganzen letzten Sommer gespart hatte. Mein langes blondes Haar hatte ich mit einer hübschen emaillierten Spange zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Ich mochte Schmerzen haben und verwirrt sein, aber, bei Gott, ich sah gut aus. Wie ein Lächeln, das ich nicht wirklich fühlte, gab mir ein gelungenes Outfit ein besseres Gefühl und gerade heute konnte ich eine Aufmunterung dringend gebrauchen.
Ich gebe Ihnen bis neun Uhr abends Zeit, aus der Stadt und aus meinen Augen zu verschwinden. Eine Frechheit! Ich hatte mir auf die Zunge beißen müssen, um nicht wie ein kleines Kind zu fauchen: Oder was? Sie sind nicht mein Boss! Fast stärker war allerdings der noch kindischere Drang, meine Mom anzurufen und zu heulen: Hier mag mich niemand und ich weiß nicht einmal, warum!
Und dieses vernichtende Urteil über die Menschen! Was für ein Zyniker. »Wandelnde Opfer – elender Quarkkübel!«, murmelte ich vor mich hin. Ich hörte meine eigene Stimme und ächzte. Mom, die im Bibel-Gürtel geboren und aufgewachsen war, hatte uns Mädchen das Fluchen stets strikt verboten – Ein hübsches Mädchen hat kein böses Mundwerk, pflegte sie zu sagen, deshalb hatten Alina und ich uns alberne Worte ausgedacht, die deftige Ausdrücke ersetzen sollten. »Arschloch« wurde zu Quarkkübel, »Arsch« zu Petunie, »Scheiße« zu Gänseblümchen und das böse F-Wort – ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich es das letzte Mal ausgesprochen hatte – zu Frosch. Ich denke, diese Beispiele machen die Idee, die alldem zugrunde lag, deutlich.
Unglücklicherweise haben wir unsere Ersatzwörter alsKinder so oft benutzt, dass es zu einer Gewohnheit wurde, die man so schwer loswerden konnte wie den Gebrauch echter derber Flüche. Zu meiner grenzenlosen Verlegenheit fiel ich, wenn ich richtig aufgeregt war, unweigerlich in mein Kindheitsvokabular zurück. Es ist ein bisschen schwierig, bei einer aus den Fugen geratenen Junggesellenparty in der Bar ernst genommen zu werden, wenn man den Übeltätern drohte, dass »die Rausschmeißer die Gänseblümchen aus ihnen herausprügeln und ihre Petunien vor die Tür befördern würden«, wenn sie sich nicht anständig benahmen. Heutzutage, wo man in meinem Alter unempfindlich war und Klartext redete, wurde man deswegen ausgelacht.
Ich räusperte mich. »Wandelnde Opfer, elendes Arschloch .«
Okay, ich geb’s zu; ich hatte gezittert wie das sprichwörtliche Espenlaub, als Jericho Barrons fertig mit mir war. Aber mittlerweile war ich darüber hinweg. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, dass er ein skrupelloser Mann war. Doch ein mordlustiger Mann hätte mich in der letzten Nacht kaltgestellt und die Sache hinter sich gebracht. Das hatte er nicht getan. Er hatte mich am Leben gelassen und nach meiner Logik konnte das nur bedeuten, dass er es auch weiterhin so halten würde. Er mochte herrisch sein und mich bedrohen, mich sogar verletzten, aber er würde mich nicht umbringen.
Nichts hatte sich geändert. Ich musste nach wie vor den Mörder meiner Schwester finden, und deshalb blieb ich in Dublin. Und jetzt, da ich wusste, wie man Sinsar Dubh schrieb, wollte ich recherchieren, worum es
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