Im Bann seiner Küsse
den anderen selbstständig machte und am Halbmond vorüberzog, glitt fahles, blauweißes Licht in Wellenbewegungen über das Wasser. Sterne leuchteten am samtigen Firmament.
Er spürte ihren kleinen Fuß in seiner Kehrseite. »Nun geh schon, Jack.«
»Ja, ja.« Er hielt den Kopf gesenkt, als er steif die Stufen hinunter und zur Scheune ging. Bei jedem knirschenden Schritt seiner gestiefelten Füße zuckte er zusammen. Sein Kopf war randvoll mit Bildern - Savannah, die ihn voller Argwohn oder gar nicht ansah; Savannah, die fast zu ihm gekommen wäre, doch mit erschrockenen, großen Augen innehielt; und er selbst, der sie an sich ziehen wollte, aber zu viel Angst vor seiner eigenen dunklen Seite hatte, um es auch nur zu versuchen.
Bitte, lieber Gott, lass nicht zu, dass ich den Verstand verliere.
Savannah lief auf und ab. Ihre kleinen Stiefel klickten auf dem hart getretenen Lehmboden. In ihrem Magen flatterte es wie in einem Schmetterlingsnest. Mit einem ängstlichen Seufzer atmete sie aus. Beruhige dich, Savannah. So schlimm ist es nicht. Mama bringt es dir bei, und alles wird gut gehen.
Winzige Zweifel nagten an ihrem Selbstbewusstsein. Vielleicht war es doch keine so gute Idee. Sie würde sich beim Tanzen ganz sicher bis auf die Knochen blamieren.
»Savannah?«
Sie erstarrte, als sie die Stimme ihres Daddys hörte, dann fuhr sie herum. Er stand im Eingang, ein breitschultriger Schatten vor dem Mitternachtsblau der Nacht. Hinter ihm sah man am Himmel ein paar Sterne. Trotz des spärlichen Mondscheins war zu erkennen, wie gut er aussah.
»Mir kam zu Ohren, dass mein kleines Mädchen nicht tanzen kann.«
Eine merkwürdige Traurigkeit überfiel Savannah. Tränen schnürten ihr die Kehle zu und brannten in den Augen, ihr Mund zitterte bedrohlich, doch tat sie ihr Bestes, um nicht zu weinen.
Sie wollte etwas sagen, das erwachsen klang, fühlte sich aber plötzlich wie ein kleines Kind, verängstigt und einsam. So lange hatte sie sich gewünscht, dass er ihr Beachtung schenkte, hatte gewartet, sich verzehrt und darum gebetet. Aber nun, wo es so weit war, wo er da war, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Ihre Knie waren weich wie Pudding.
Sie rührte sich nicht. Sie stand einfach da, mit starkem Herzklopfen und trockener Kehle und starrte ihren Daddy an. Sie hatte Angst, in Tränen auszubrechen, was ihn womöglich in die Flucht schlagen würde. Also stand sie da und versuchte sich verzweifelt als perfekte kleine Lady zu präsentieren, damit er stolz auf sie sein konnte.
»Komm her, Vannah.«
Vannah. Der Kosename gab ihr fast den Rest. Sie presste die Augen zu. Sei kein Heul b a b y. Mach jetzt nichts Dummes, sonst geht er sofort wieder.
Sie versuchte klar zu überlegen und schaffte es nicht. In ihrem Kopf drängten sich Bilder aus einer Zeit, die ihr kaum mehr in Erinnerung war ... damals, als sie mitten in der Nacht aufgewacht war, weil sie Weinen hörte. Damals war es so oft passiert. So oft...
Wenn sie erwachte, hatte sie ihn durch die Stäbe ihres Bettchens gesehen. Er hatte dagestanden, nach ihr gegriffen, ihren Namen geflüstert. Vannah, immer wieder.
Irgendwie hatte sie schon als Kind gespürt, dass er nicht wollte, dass sie etwas sagte. Aber einmal hatte sie nicht anders gekonnt. Das Wort >Daddy< war ihrem kleinen Mund einfach entschlüpft.
Da hatte er seine Hand mit einem Ruck zurückgezogen und war vor ihr zurückgewichen. Er war nie wieder gekommen.
Die Erinnerung brannte in Savannahs Brust. Damals hatte sie etwas Schlimmes gemacht, das ihn vertrieb. Seither hatte sie sich bemüht, brav und ruhig zu sein, doch hatte es nichts genützt.
Jetzt gab er ihr eine neue Chance, und sie wollte nichts falsch machen.
Er streckte seine Hand aus. »Komm her, Vannah.«
Sie starrte seine ausgestreckte Hand so lange an, bis diese vor ihr verschwamm. Blinzelnd versuchte sie die kindischen Tränen zurückzuhalten.
»Ich warte hier die ganze Nacht, Vannah«, flüsterte er. »Diesmal gehe ich nicht fort.«
»Ich verstehe nicht ...«, sagte sie, weil ihr nichts anderes einfallen wollte, doch als ihr die Worte über die Lippen kamen, wusste sie schon, dass es nicht stimmte. Sie hatte Angst zu verstehen, Angst, dass sie sich irrte.
»Es ist einfach, Vannah. Ich möchte meinem kleinen Mädchen nur Tanzunterricht geben.«
Ein winziges Schluchzen entschlüpfte ihr. Diesmal konnte keine Macht auf Erden oder in ihrem Inneren Savannah zurückhalten. Sie atmete durch, raffte die Röcke hoch und lief zu ihm.
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