Im Banne des schwarzen Schwertes
diese Lords das unwahrscheinliche Tanelorn mit der Zeit ablehnten und sich nicht zum erstenmal entschlossen, dagegen vorzugehen.
Sie wiesen einen aus ihrem Kreis, Lord Marjhan, an (mehr als einen konnten sie damals nicht entbehren), Nadsokor, die Stadt der Bettler, aufzusuchen, die ohnehin einen alten Groll auf Tanelorn hatte, um dort eine Armee auszuheben, die das wehrlose Tanelorn angreifen und die Stadt und seine Bewohner vernichten sollte. Dies tat er; er bewaffnete seine zerlumpte Armee und versprach ihr mancherlei.
Wie eine gewaltige Flutwelle setzte sich der Abschaum in Bewegung, um Tanelorn niederzuwalzen und alle dort Wohnenden zu erschlagen. Ein mächtiger Strom aus Männern und Frauen in Lumpen, auf Krücken, blind, verkrüppelt, doch in gleichförmiger, unheilvoller Bewegung, unaufhaltsam nach Norden auf die Seufzende Wüste zu.
In Tanelorn wohnte der Rote Bogenschütze Rackhir, geboren in den Ostländern jenseits der Seufzenden Wüste, jenseits auch der Weinenden Wüste. Rackhir war einmal Kriegerpriester gewesen, ein Diener der Lords des Chaos, hatte jedoch dieses Leben aufgegeben, um sich dem ruhigeren Leben des Stehlens und Studierens zu widmen. Ein Mann mit hartem Gesicht, dessen Züge aus dem Knochen des Schädels heraus geschnitzt zu sein schienen, eine kräftige, fleischlose Nase, tiefe Augenhöhlen, ein dünner Mund, ein dünner Bart. Er trug eine rote Kappe, verziert mit einer Falkenfeder, ein rotes Wams und, an der Hüfte von einem Gürtel zusammengehalten, eng anliegende rote Reithosen und rote Stiefel. Es war, als wäre das gesamte Blut seines Körpers in seine Kleidung und Ausrüstung übergetreten und ließe ihn ausgeleert zurück. In Tanelorn jedoch hatte er sein Glück gefunden, in der Stadt, die alle Männer dieser Art glücklich machte, und meinte, daß er dort auch sterben würde, wenn es den Tod hier überhaupt gab. Er wußte es nicht.
Eines Tages nun sah er Brut von Lashmar, einen großen blonden Edelmann, der in Schande lebte, müde, doch in Eile durch das niedrige Tor der Stadt des Friedens reiten. Bruts Silberrüstung war beschmutzt, sein gelber Mantel flatterte zerrissen, der breitkrempige Hut war zerknittert. Eine kleine Menge sammelte sich um ihn, als er auf den Stadtplatz ritt und anhielt. Dann verkündete er seine Nachricht.
»Bettler aus Nadsokor, viele tausend, ziehen gegen unser Tanelorn«, sagte er. »Und sie werden von Narjhan aus dem Chaos angeführt!«
Die Tanelorner waren ausnahmslos Soldaten gewesen, meistens gute Kämpfer, die sich auf ihr Handwerk verstanden. Ihre Zahl jedoch war gering. So wußten sie, daß eine Bettlerhorde, von einem Wesen wie Narjhan angeführt, Tanelorn vernichten konnte.
»Sollen wir Tanelorn verlassen?« fragte Uroch aus Nieva, ein junger, kränklicher Mann, der in seinem früheren Leben viel getrunken hatte.
»Wir schulden dieser Stadt zuviel, als daß wir sie jetzt im Stich lassen könnten«, antwortete Rackhir. »Wir sollten sie verteidigen - zu ihrem wie auch zu unserem Wohl. Es wird nie wieder eine solche Stadt geben!«
Brut lehnte sich im Sattel vor und sagte: »Im Prinzip stimme ich mit dir überein, Roter Bogenschütze. Aber das Prinzip genügt nicht, es müssen Taten folgen. Wie sollten wir wohl diese schlecht befestigte Stadt gegen eine Belagerung und gegen die Mächte des Chaos halten?«
»Wir brauchen Hilfe«, erwiderte Rackhir. »Notfalls auch übernatürliche Hilfe.«
»Würden die Grauen Lords uns helfen?« fragte Zas der Einhändige. Er war ein alter, abgerissener Wanderer, der einst einen Thron errungen und wieder verloren hatte.
»Ja - die Grauen Lords!« Mehrere Stimmen riefen die Worte hoffnungslos im Chor.
»Wer sind die Grauen Lords?« fragte Uroch, doch niemand hörte ihn.
»Sie haben wenig Lust, überhaupt jemandem zu helfen«, erklärte Zas der Einhändige. »Tanelorn jedoch, das weder den Kräften der Ordnung unterworfen ist noch den Lords des Chaos, müßte für sie eine Erhaltung wert sein. Schließlich sind sie selbst keine Bindungen eingegangen.«
»Ich bin dafür, die Hilfe der Grauen Lords zu erbitten«, sagte Brut und nickte. »Was ist mit den anderen?« Man war allgemein derselben Ansicht, dann trat Schweigen ein, als man erkannte, daß niemand eine Möglichkeit wußte, mit den geheimnisvollen und gleichgültigen Wesen Kontakt aufzunehmen. Endlich sprach Zas dieses Problem offen aus.
Rackhir sagte: »Ich kenne einen Seher - einen Einsiedler, der in der Seufzenden Wüste lebt. Vielleicht kann
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