Im Banne des stuermischen Eroberers
Nerissas Familie noch die seine einverstanden.
Ausgerechnet Nerissa hatte den Preis für die Geltungssucht ihrer Eltern zahlen müssen. Sie war sofort schwanger geworden und, einem Opferlamm gleich, im Kindbett gestorben. Da war sie noch keine dreizehn Jahre alt gewesen.
Nie würde Hethe sich verzeihen, seinem Vater gegenüber den Aufschub nicht durchgesetzt zu haben. Vielleicht hätte er sich auch schlicht weigern sollen, die Ehe zu vollziehen. Oder er hätte alle glauben machen können, die Ehe sei vollzogen worden, um die Sache ein, zwei Jahre später in aller Heimlichkeit nachzuholen. Das aber hatte er nicht getan, denn mit siebzehn war er so liebestoll wie jeder andere junge Bursche auch. Und Nerissa war ein bezauberndes Mädchen gewesen - schon in dem zarten Alter. Starke Getränke in Verbindung mit den gestrengen Ermahnungen seines Vaters hatten dazu geführt, dass es einfach geschehen war. Neun Monate später hörte er Nerissa schreien, während das Kind versuchte, sich aus ihrem Schoß ans Licht der Welt zu kämpfen. Es hatte den Kampf verloren, und Nerissa war verblutet, das Kind noch im Leib.
Seitdem rang Hethe sowohl gegen die Feinde des Königs als auch gegen die eigenen Dämonen. Wochen, ja Monate brachte er damit zu, ein Schlachtfeld nach dem anderen mit dem Blut seiner Gegner zu tränken. Er kämpfte, bis er den Tod nicht mehr riechen und sehen konnte, und kehrte zurück in der Hoffnung, dass er dieses Mal zur Ruhe kommen werde - dass er die Burg dieses Mal als den
Ort des Friedens vorfinden werde, nach dem er sich so sehr sehnte. Das jedoch geschah nie. Noch immer meinte er Nerissas Schreie durch die Gänge hallen zu hören, so wie vor all den Jahren, fast drei Tage lang. Und so trieb es Hethe rasch wieder fort, manchmal binnen weniger Stunden. Er fand hier einfach keine Ruhe.
Heute ist es nicht anders, dachte er missmutig, obgleich es nicht Nerissas Schreie waren, die ihn dazu drängten, den kalten Mauern von Holden zu entfliehen. Nay, was ihn heute dazu bewog, sich aufs Schlachtfeld zurückzusehnen, war die Nachricht, die der Bote des Königs überbracht hatte. Wieder heiraten sollte er also - und dann auch noch die Tyrannin von Tiernay.
Welch Hohn. Dieses Mal würde er das Opferlamm abgeben, und das alles nur aus einer Laune des Königs heraus. Begeisterung konnte Hethe dafür nicht empfinden.
Ein Klopfen riss ihn aus seiner unerquicklichen Grübelei. Er setzte sich gerade hin, rief „Herein!“ und begann sich zu waschen. Dass William eintrat, überraschte ihn so wenig, wie ihn zuvor das Erscheinen der Bediensteten mit dem Zuber überrascht hatte. Sein ranghöchster Mann dürfte inzwischen von Stephen auf den neuesten Stand gebracht worden sein und würde ihm nun Bericht erstatten. So war es immer.
„Ist irgendetwas vorgefallen, während wir fort waren?“, fragte Hethe und schöpfte sich Wasser auf die Haare.
„Nay. Zumindest nichts, von dem wir nicht schon durch Stephens Sendschreiben wüssten.“ William zuckte mit den Achseln, setzte sich aufs Fußende des Bettes und schaute Hethe bekümmert an. „Du wirst nicht allen Ernstes diese Frau heiraten, oder?“
Hethe schwieg kurz. „Klang der Brief wie ein Ersuch oder wie ein Befehl?“, fragte er schließlich.
„Wie ein Befehl“, räumte William sichtlich unmutig ein.
Hethe verzog das Gesicht und zuckte seinerseits mit den Schultern. „Dann wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben. Irgendwann hätte ich ohnehin wieder heiraten müssen“, fügte er an, in dem Bemühen, sich mit der Tatsache abzufinden.
„Aye, aber ... Tiernays Tyrannin ...“ William blickte gequält drein.
Hethe lachte leise. „Tja, nun. Ich werde sie heiraten und ins Brautbett führen. Danach schauen wir, ob der König nicht unserer
Dienste bedarf, um seinen Sohn zu bändigen. Meine Gemahlin lasse ich auf Tiernay zurück, um sie ab und an zu besuchen. Damit bleibt alles beim Alten.“
Williams Erleichterung war beinahe greifbar, und Hethe konnte nachvollziehen, warum. William war ein schmächtiger Junge gewesen und von den anderen Kindern oft gepiesackt worden. Als Jüngling war er ordentlich gewachsen und zu dem großen, kräftigen Kerl geworden, der er heute war. Dies, wie auch seine Ausbildung an Hethes Seite, hatte ihn zu einem herausragenden Ritter werden lassen. Hethe wusste, dass sein Freund auf Ruhm und die Anerkennung des Königs aus war. Womöglich träumte er gar davon, sich mit seinem Schwert ein Stück Land mit einem eigenen Gut darauf
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