Im Banne des stuermischen Eroberers
zu verdienen. Daher zögerte William nie, gemeinsam mit ihm in die Schlacht zu ziehen. Er ermunterte Hethe sogar, sich mitsamt seinen Mannen freiwillig zur Verfügung zu stellen. Wenn Hethe sich nun plötzlich eine Frau nahm, sesshaft wurde und dem Krieg vielleicht abschwor, sah er seine Ziele in Gefahr. Doch er hätte sich keine Sorgen machen müssen - Hethe hatte keineswegs vor, sesshaft zu werden.
„Die Tyrannin von Tiernay ins Brautbett führen“, sinnierte William und tat so, als erschauere er. „Pfui Teufel! Du hast mein Mitgefühl.“
„Und das weiß ich zu schätzen, William. Wirklich.“ Er klang unbewegt und versuchte, ein Bild von dieser Frau heraufzubeschwören. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie ein Kind von vielleicht zehn Jahren gewesen. Nachdem sein Vater gestorben war, war er nach Tiernay geritten, um ihrem Vater zu versichern, dass sich an den zwischen Holden und Tiernay getroffenen Vereinbarungen nichts ändern werde. Das war im Jahr nach Nerissas Tod gewesen. Aye , Lord Tiernays Tochter musste damals etwa zehn gewesen sein - gerade einmal ein Jahr jünger, als seine Braut bei ihrer Hochzeit gewesen war. Doch Tiernays Tochter hatte weder die weiblichen Rundungen noch den Liebreiz seiner Nerissa besessen. Sie war ein mageres kleines Ding gewesen und schien, wenn er sich recht entsann, nur aus Zähnen und Ellbogen bestanden zu haben. Wahrscheinlich war sie im Laufe der Zeit nicht schöner geworden - vermutlich glich Helen of Tiernay einem sauertöpfischen alten Gaul mit vorstehenden Zähnen.
„Kind, sie sind da! Ich habe sie vom Fenster meines Schlafgemachs aus erspäht. Sie sind soeben eingetroffen!“
Als Tante Nell die Treppe herabstürmte, ließ Helen das Nähzeug sinken und sprang auf. Unwillkürlich grub sie die Finger in ihren Rock und zerknitterte den feinen Stoff. Einen Augenblick stand sie vor Schreck wie gelähmt da, dann jedoch fasste sie sich so weit, dass sie nach ihrer Kammerfrau rufen konnte.
Ducky musste Tante Nells aufgeregte Stimme gehört haben, denn kaum einen Herzschlag später hastete sie schon aus der Küche herbei. Sie hielt einen Becher in den Händen und sah ebenso bestürzt aus wie Tante Nell. Beinahe wären die beiden zusammengeprallt, als sie durch die Große Halle auf Helen zueilten. Aus irgendeinem Grund wirkte die allgemeine Kopflosigkeit beruhigend auf Helen.
Alles war gerichtet. Lord Templetuns Bote war während des gestrigen Nachtmahls angekommen. Somit waren sie gewarnt und hatten Zeit gehabt, letzte Vorkehrungen zu treffen. Sie war bereit, ging die Liste im Geiste aber trotzdem noch einmal durch.
Helen trug ihr bestes Gewand. Ihr Haar war gewaschen und umschmeichelte ihr Gesicht in weichen Wellen. Sie sah so gut aus, wie es ihr nur möglich war. Fast wünschte sie, verdreckt und in Lumpen gehüllt zu sein, aber dann hätte Templetun gleich gemerkt, dass etwas im Argen lag. Schließlich hatte er gesehen, wie sie normalerweise aussah, weil er beim ersten Mal unangemeldet aufgetaucht war. Daher wäre es nicht besonders klug gewesen, sich die Zähne zu schwärzen und ein übergroßes, mit Kissen ausgestopftes Kleid zu tragen, um ihren angehenden Bräutigam dazu zu bringen, sich gegen den Heiratsbefehl zu sträuben. Helens Strategie musste weniger offenkundig sein und war es auch. Nur zwei Dinge galt es noch zu erledigen, doch um eine möglichst hohe Wirkkraft zu erzielen, hatte sie damit auf die Ankunft der Männer gewartet.
„Hast du den Knoblauch?“, fragte sie Ducky, als die Kammerfrau und Tante Nell zu ihr traten.
„Aye, Mylady, hier.“ Ducky drückte Tante Nell den Becher in die Hand, griff in ihre Rocktasche und bediente sich aus ihrem kleinen Geheimvorrat. Diesen trug sie bei sich, seit der Bote sie gestern Abend über die voraussichtliche Ankunftszeit der Herren Templetun und Holden in Kenntnis gesetzt hatte. Sie zog eine
Handvoll Knoblauch hervor, befreite eine der Zehen von der dünnen, trockenen äußeren Schale, reichte sie Helen und machte sich daran, eine weitere zu pellen.
Mit grimmiger Miene nahm Helen die geschälte Zehe, fackelte nicht lange und steckte sie sich in den Mund. Als sich beim Kauen der scharfe Geschmack entfaltete, schnitt sie eine Grimasse. Es brannte, aber sie kaute unbeirrt und schob eifrig weitere Zehen nach. Schließlich hatte sie sechs davon im Mund, die sie, wenn sie nicht gerade kaute, mit der Zunge hin- und herschob. Ducky und Tante Nell verzogen mitfühlend das Gesicht. Endlich schluckte Helen
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