Im Banne des stuermischen Eroberers
die gesamte Masse hinunter und streckte die Hand nach dem Becher aus, den Ducky Tante Nell gegeben hatte.
Tante Nell schnupperte kurz an dem Gefäß und zuckte jäh zurück. Dies und ihr Ausdruck warnten Helen - das Gebräu besaß Schlagkraft. Nell reichte es ihr. Helen hob sich den Becher ebenfalls an die Nase, nur um ihn genauso rasch wieder sinken zu lassen. Sie hatte gehofft, dass der Knoblauch ihr vorübergehend den Geruchssinn nehmen und somit helfen werde, die Mixtur zu schlucken, die ihrem Plan Nachhaltigkeit verleihen sollte. Doch der Knoblauch übertünchte gar nichts. Großer Gott, ich kann das unmöglich trinken, dachte sie entsetzt. Der Gestank, der ihr in die Nase drang, war der garstigste, den sie je gerochen hatte.
„Nur Mut“, murmelte Tante Nell kaum hörbar. Helen sah sie an, und die Ältere lächelte ihr aufmunternd zu und nickte. Es half ja nichts. Helen stieß den Atem aus, den sie unwillkürlich angehalten hatte, kniff sich die Nase zu und kippte sich den Inhalt des Bechers in den Mund. Sie rang den Drang zu würgen und zu speien nieder, ballte die Hände zu Fäusten, krampfte sogar die Zehen zusammen und blieb standhaft - während sie darauf wartete, dass der Würgereiz abflaute. Aber vergebens.
Ihre Augen begannen zu tränen, doch sie zwang sich, die Flüssigkeit im Mund zu behalten und sogar noch hin- und herzuschwenken. Erst als sie sicher war, dass das grässliche Gebräu auch in den letzten Winkel gedrungen war, schluckte sie es hinunter. Sie spürte es ihre Kehle hinabrinnen; es verschlug ihr regelrecht den Atem.
„Oh, Gott!“ Sie hustete, und sowohl Tante Nell als auch Ducky klopften ihr kräftig auf den Rücken. Ihr mitfühlender Blick war geradezu herzergreifend.
„Alles in Ordnung, Liebes?“, fragte Tante Nell bang, als der Hustenanfall abebbte.
Helen nickte, holte tief Luft und erkannte erst dann, dass dies nicht weise war, da sie damit nur den widerlichen Mundgeruch in ihre Lunge zog. Sie zwang sich, ruhig zu atmen.
„Aye“, erwiderte sie schließlich, wenngleich sie nicht ganz sicher war. Der Trank lag ihr schwer im Magen und schien diesen in Aufruhr zu versetzen. Offenbar fanden ihre Eingeweide ihn ebenso abstoßend wie ihr Gaumen.
„Dann sollte Ducky nun besser alle Spuren beseitigen, ehe wir unsere Gäste begrüßen.“
„Aye. “ Helen straffte die Schultern und lächelte ihrer Kammerfrau beruhigend zu. „Sorge bitte auch dafür, dass Bier und Speisen bereit sind, Ducky. Und vergiss nicht zu veranlassen, dass unsere Gäste baden können.“
Die Kammerfrau nickte und verschwand mit Knoblauchschalen und leerem Becher in Richtung Küche.
Helen strich sich die Röcke glatt, bevor sie auf das Portal zuschritt, Tante Nell und Goliath im Schlepptau. Währenddessen führte sie sich ihren Plan vor Augen. Er wird schon gelingen, sagte sie sich. Sie musste daran glauben. Es war die einzige Hoffnung, an die sie sich klammern konnte. Wenn sie die andere Möglichkeit auch nur in Erwägung zog ...
Sie erreichte das Portal und wollte es gerade öffnen, als ihre Tante sie zurückhielt.
„Lächele“, befahl diese ihr leise. Artig setzte Helen ein Lächeln auf und wartete darauf, dass ihre Tante es absegnete.
„Nun“, bemerkte Nell nach kurzem Zögern. „Allzu begeistert über das Eintreffen der Herren solltest du dich wohl in der Tat nicht geben. Das könnte ihren Argwohn wecken. Und es ist ja nicht so, als würdest du es genießen, den ,Hammer of Holden zu peinigen, nicht wahr?“
Der letzte, spöttisch geäußerte Satz hatte die gewünschte Wirkung. Helens Lächeln wurde zwar nicht breiter, aber aufrichtiger. Ihre Züge entspannten sich, als sie sich das anstehende Spektakel ausmalte. Tante Nell nickte zustimmend, öffnete das Portal und schob Helen über die Schwelle.
Sie hielt nach den Reitern Ausschau und sah sie just in den
Burghof einziehen. Den „Hammer of Holden“ erkannte sie sofort. Er und Lord Templetun ritten vorneweg, und etwa ein Dutzend Männer folgte ihnen. Helen keuchte auf. Lord Holden war ungemein stattlich. Das hatte sie nicht erwartet. Sie hatte stets angenommen, dass sich das Wesen eines Menschen in seinem Äußeren spiegele, und war davon ausgegangen, dass Lord Holden so abstoßend war wie seine Taten. Doch das war er nicht im Mindesten. Er hatte den Kopf Lord Templetun zugeneigt, der gerade etwas zu sagen schien, und daher sah sie sein Gesicht nur teilweise. Aber was sie erblickte, genügte, ihr den Atem zu rauben. Fast bereute sie es,
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