Im Banne des stuermischen Eroberers
eine Wende in der Unterhaltung. Plötzlich fiel ihm auf, dass sie das hässlichste Kleid trug, das er je gesehen hatte. Es war nicht nur hässlich, sondern auch zerschlissen, ausgefranst und eine Spur zu klein. Missmutig beäugte er es. „Was, zum Teufel, habt Ihr da an?“
Auf die Frage ihres Gemahls sah Helen gleichgültig an sich hinab. „Ein Kleid.“
„Nun, das sehe ich selbst. Aber warum tragt Ihr nicht etwas, das sich für eine Dame ziemt? Schließlich besitzt Ihr bessere
Gewänder als dieses. Mindestens zwei davon habe ich an Euch schon gesehen.“
„Das sind meine guten Kleider“, beschied sie ihm geduldig. „Ich wollte sie nicht ruinieren ...“ Abrupt verstummte sie, als eine Magd mit einem Becher sowie einem Bierkrug am Tisch erschien. Sie stellte beides vor Lord Holden ab und goss ihm ein, zögerte anschließend und lugte zu Helen herüber.
„Wünscht Ihr auch einen Becher Bier, Mylady?“
Es war offenkundig, dass das Mädchen sich eine ablehnende Antwort erhoffte, und fast hätte Helen ihr aus purem Mitleid den Gefallen getan. Andererseits war sie nicht nur hungrig, sondern auch durstig aufgewacht und hatte den Becher Met, den Ducky ihr mit den Speisen gebracht hatte, längst gierig hinuntergestürzt. Daher schob sie der Magd ihren Becher so weit wie möglich entgegen, das Gesicht um Entschuldigung heischend verzogen.
Unfroh biss sich das Mädchen auf die Unterlippe, straffte die Schultern wie ein Krieger, der in die Schlacht zog, holte tief Luft, hielt den Atem an und hastete herbei. Sie füllte den Becher mit mehr Eile als Sorgfalt und ließ einen Gutteil des Biers auf den Tisch schwappen. Um sich wohl selbst für ihre Ungeschicklichkeit zu strafen, schob sie Helen das Gefäß wieder zu, ehe sie die Flucht ergriff. Während sie auf die Küche zustürmte, hörte man sie in der Stille der Halle keuchend nach Luft ringen.
Seufzend schaute Helen zum „Hammer of Holden“ hinüber. Der Mann sah der Magd nach, verzog amüsiert den Mund und wollte offenbar gerade losprusten, als er Helens wütenden Blick einfing. Umgehend setzte er eine ernste Miene auf.
„Hm“, machte er und räusperte sich. Nach wie vor musste er sich jedoch das Lachen verkneifen, was sie an seinem merkwürdig verzogenen Gesicht erkannte. Wahrscheinlich wusste er, dass sie es ihm nie verzeihen und ihm auf ewig ihr Bett verwehren würde, hätte er in diesem Moment gelacht.
„Tja, nun ...“ Er rang seine Heiterkeit nieder. „Da werden wir Euch wohl ein paar neue Kleider nähen lassen müssen“, verkündete er und lenkte sie so von ihrem Ärger ab. „Zudem wünsche ich nicht, dass Ihr Euer Haar so tragt. Ich ziehe es offen vor. Bindet es nie wieder auf diese Weise zurück.“
Helen fasste sich ans Haar. Sie hatte es mit einer Lederschnur, die Ducky ihr geholt hatte, straff zurückgebunden. Um es anständig zu frisieren, war sie schlicht zu müde gewesen. Gereizt ließ sie die Hand wieder sinken. Was scherte es sie, wenn er sie nicht anziehend fand?
„Ich habe heute unsere Besitzungen begutachtet.“
Scharf sah Helen ihn an. „Unsere“, nicht „meine“? Die Wortwahl verblüffte sie, denn alles, was ihr gehört hatte, war mit der Heirat rechtmäßig an ihn übergegangen - oder würde es, wenn die Ehe erst vollzogen war. Kurz kam ihr die letzte Nacht in den Sinn. Einen Moment lang lag sie wieder im Bett, ihren Gemahl halb auf sich, seinen Mund an dem ihren, was sich köstlich angefühlt hatte. Noch einmal spürte sie, wie er sie mit den Händen liebkoste, und fühlte ihre Brustwarzen hart werden. Die Erinnerung ließ tief in ihrem Unterleib Hitze aufwallen, und dass ihr Körper sie derart verriet, trieb ihr die Schamesröte in die Wangen. Um dies zu verbergen, wandte sie sich ab und nahm hastig einen Schluck Bier.
„Ich habe den Eindruck, dass ich dem Volk von Tiernay nicht gerade willkommen bin.“
Helen schluckte mit dem Anflug eines Lächelns. „Nicht gerade willkommen“ war wohl arg untertrieben. Ein jeder hier fürchtete und hasste ihn, und das aus gutem Grund. Errichteten Kleinbauern ihre Gehöfte zu nah an der Grenze zu Holden, wurden die Gebäude oft genug niedergebrannt. Kühe, die sich nach Holden verirrten, wurden einbehalten. Und jeder wusste, wie Lord Holden seine Untergebenen behandelte - nicht zuletzt, weil einige der Tiernay-Bewohner von Holden stammten und hier Schutz gesucht hatten. „Das laste ich Euch an.“
Beinahe hätte sie das Bier wieder ausgespien, von dem sie soeben einen
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