Im Banne des stuermischen Eroberers
war sie hier - nicht einen Herzschlag lang zweifelte er daran, dass sie hinter diesem grauenhaften Mahl steckte.
Abrupt stand er auf, spuckte das ungenießbare Fleisch auf den Boden und schritt entschlossen auf die Küche zu. Stille senkte sich über den Schankraum. Hethe achtete nicht weiter darauf, dass alle Gespräche jäh verstummten, sondern hielt den Blick auf die Küchentür und die alte Hexe dahinter geheftet.
Die Frauen in der Küche mussten durch das Schweigen gewarnt worden sein, denn beide standen dicht nebeneinander und wie erstarrt da und schauten Hethe wachsam entgegen. Er trat über die Schwelle und blieb stehen, wobei er von der einen zur anderen sah. Die Jüngere wirkte verängstigt und hatte die Augen vor Furcht weit aufgerissen. Die Ältere blickte ebenso grimmig wie schicksalsergeben drein. Sie trat vor und stellte sich schützend vor die schwangere Wirtin.
„Ist irgendetwas mit dem Essen nicht in Ordnung, Mylord?“ Die Alte war so dreist, das „Mylord“ vor Spott triefen zu lassen.
Hethe war fassungslos. „Du hast keine Angst vor mir“, stellte er erstaunt fest. Dabei hätte die närrische alte Hexe gut daran getan, ihn zu fürchten. Jeder Gemeine mit einem Funken Verstand hätte nur einen Blick auf Hethes Miene werfen müssen, um vor Angst zu zittern - vor allem jeder, der seinem Herrn soeben einen Fraß vorgesetzt hatte, der noch für die Hunde zu schlecht war. Doch nicht so die Greisin.
„Ich bin eine alte Frau“, entgegnete sie lächelnd. „Schlimmstenfalls könnt Ihr mich schlagen und töten, und wie viele Lebensjahre würdet Ihr mir dadurch schon rauben?“
Er versteifte sich. „Weder schlage noch töte ich alte Leute“, blaffte er gereizt.
„Und ob Ihr das tut. Die alte Bets war achtzig an dem Tag, da Ihr sie habt umbringen lassen. Und Ihr habt noch weit Ärgeres getan - die Heimstatt alter Frauen niederzubrennen, zum Beispiel. Schätze, Ihr hättet keine Hemmungen, mir Gleiches anzutun.“ „Die alte Bets? Wer, zum Henker, soll das sein? Und wer hat dir diese schmutzigen Lügen eingeflüstert?“, fragte er empört.
Die Alte legte den Kopf leicht schräg und beäugte Hethe nachdenklich, aber es war die Jüngere, die das Wort ergriff.
„Er hat recht, Mutter“, sagte sie mit vor Furcht bebender Stimme. „Nie hat er das Gesinde eigenhändig geschlagen oder getötet. Das hat er immer diesem anderen Kerl überlassen. Er hat es nur befohlen.“
Ehe Hethe auf diese verleumderischen Anschuldigungen eingehen konnte, schwang die Tür hinter ihm auf. Er schaute sich um. Auf der Schwelle stand William und blickte grimmig drein, bereit, Hethe den Rücken zu stärken, was immer auch dräuen mochte.
Doch Hethe brauchte keine Rückendeckung, denn dies hier war keine Schlacht. Er unterhielt sich lediglich mit zwei verblendeten Dörflerinnen und wollte nicht, dass die Lage aus dem Ruder geriet - was ganz gewiss der Fall sein würde, wenn sein ranghöchster Mann mitbekam, wie unverschämt sich die beiden Frauen gaben. Daher wandte er sich zum Gehen, hielt inne, holte eine Münze hervor und warf sie seinen Anklägerinnen vor die Füße. „Für mein Essen.“
Damit ging er William voran aus der Küche und verließ das Gasthaus.
„Was ist geschehen?“, wollte William wissen, als sie draußen aufsaßen, um zur Burg zurückzureiten.
„Nichts“, murmelte Hethe, doch im Geiste war er mit dem beschäftigt, was die beiden Frauen gesagt hatten. Alles gelogen, natürlich. In seinem ganzen Leben hatte er niemals einen alten -oder jungen - Bediensteten oder Leibeigenen verprügelt oder umgebracht oder selbiges auch nur befohlen. Die beiden Weiber aber schienen dies aufrichtig zu glauben. „Wer ist die alte Bets?“ William sah ihn scharf an. „Die alte Bets?“, fragte er verwirrt. „Ich weiß nicht...“
„Schon gut“, unterbrach Hethe ihn und seufzte. Er würde selbst herausfinden, was es mit dieser Frau auf sich hatte. Er wollte der Sache auf den Grund gehen, und wenn es das Letzte wäre, das er tat. Irgendwer verbreitete scheußliche Lügen über ihn.
Kein Wunder, dass Lady Helen sich so sehr dagegen gesträubt hatte, seine Gemahlin zu werden. Sofern nicht sie hinter den Verleumdungen steckte ... ein Gedanke, der ihn beschäftigte, während sie schweigend zur Burg zurückkehrten. Die Vorstellung gefiel ihm nicht, aber denkbar war es. Das würde erklären, weshalb Lady Helens Untergebene die Schmähungen als gottgegebene Wahrheit hinnahmen. Die Menschen hier würden ihre
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