Im Banne des stuermischen Eroberers
weiteren Schluck genommen hatte. Sie zwang es ihre Kehle hinab und starrte Lord Holden fassungslos an. „Mir? Ihr legt es mir zur Last, dass die Menschen hier - darunter auch Eure - Euch fürchten und verachten?“
„Mein Volk fürchtet und verachtet mich keineswegs“, wandte er gekränkt ein.
Sie schnaubte. „Ihr könnt mich nicht narren, Mylord. Ich habe zu viele Menschen von Holden aufgenommen, die das Gegenteil behaupten.“
„Wie bitte?“ Nun war es an ihm zu starren. „Hier ist niemand von Holden.“
„Und ob. Ich habe ein Vermögen ausgegeben, um Eure Leibeigenen freizukaufen und ...“ Sie brach ab und erhob sich abrupt. Welchen Sinn hatte es schon, ihm zu berichten, was ihm ohnehin bekannt war? Gott allein wusste, wie viel sie zu seinem Reichtum beigetragen hatte, indem sie die Unfreien erwarb, die ansonsten von ihm misshandelt worden wären.
„Wohin wollt Ihr?“, fragte er unwirsch und drehte sich auf der Bank, um Helen aufgebracht nachzuschauen. „Ich bin noch nicht fertig mit Euch.“
Helen, die auf dem Weg zur Treppe war, machte auf dem Absatz kehrt. Welch artige Gemahlin ich doch sein kann, wenn die Umstände es erfordern, dachte sie missmutig. Auch wenn sie es genoss zu sehen, wie er erbleichte und aufsprang, um auf Abstand zu gehen. Unbeirrt ging sie auf ihn zu und blickte ihn aus großen Augen unschuldig an. „Was denn, Mylord? Ich dachte, Ihr wolltet mir noch etwas sagen? Oder irre ich mich?“
Lord Holden hielt sich die Nase zu und wich verzweifelt zurück. Sie konnte regelrecht sehen, was in seinem Kopf vorging: Ein guter Krieger weiß, wann er angreifen muss und wann er sich besser zurückzieht. Dieses Gespräch führe ich lieber ein andermal. Vielleicht in ein paar Tagen. Oder in einer Woche, wenn meine Gemahlin nicht mehr gar so streng riecht.
Jäh wandte er sich ab und stürzte aufs Portal zu. „Ich gehe in die Dorfschenke, um meinen Männern Gesellschaft zu leisten. Und ich will, dass die Halle in meiner Abwesenheit gelüftet wird. Sorgt dafür.“
Dann schlug das Portal auch schon hinter ihm zu, und Helen lächelte ihm höhnisch hinterher.
„Sorgt dafür“, äffte sie ihn leise nach und setzte ihren Weg zur Treppe fort. Sollte er doch selbst dafür sorgen, wenn er zurückkehrte. Sie würde sich in ihr Gemach begeben und noch ein wenig schluchzen. Wenn sie heftig und lange genug weinte, würde ihre Nase womöglich wieder so weit verstopfen, dass sie dem Gestank für eine Weile entkommen und ein wenig Schlaf finden konnte. Kläglich seufzend erklomm Helen die Stufen.
„Wir hätten auf der Burg essen sollen. Hast du nicht gesagt, die Speisen, die du während des Ausflugs genossen hast, seien vorzüglich gewesen?“, fragte William verdrossen.
Hethe sah auf, hatte der Bemerkung allerdings nichts entgegenzusetzen. Hatte er schon die Mahlzeiten auf der Burg für unerquicklich gehalten, waren sie nichts verglichen mit dem versalzenen Eintopf, dem zähen, verbrannten Fleisch und dem verwässerten Bier in der Schenke. Hinzu kam, dass William auf der Burg nicht in den Genuss des ungenießbaren Fraßes gekommen war, den Hethe hatte hinunterwürgen müssen. Was man ihnen heute hier im Gasthaus vorgesetzt hatte, hatte nichts mehr mit dem gebratenen Hühnchen von neulich gemein. Nun, vielleicht mussten erst wieder frische Vorräte eingehandelt werden ...
Seufzend kaute er auf dem verbrannten Stück Fleisch herum, das man ihm serviert hatte. Von welchem Tier es stammte, wagte er nicht einmal zu raten. Vielleicht vom Rind, doch es konnte genauso gut Huhn sein. Es war so verkohlt und trocken, dass er es beim besten Willen nicht zu sagen vermochte.
Die Frau des Gastwirts kam und knallte einen Krug mit noch mehr verwässertem Bier auf den Tisch, blieb einen Moment stehen, um ihre Gäste mit einem vernichtenden Blick zu bedenken, und marschierte davon. Nun, zumindest bemühte sie sich um einen forschen Schritt, wenngleich sie in Wirklichkeit eher watschelte. Die Frau war schwanger, das war nicht zu übersehen, und stand kurz vor der Niederkunft. Hethe sah sie durch die Tür zur Küche schwanken. Als er dahinter eine Greisin erspähte, schaute er genauer hin, hielt mitten im Kauen inne und saß wie versteinert da.
Es war die alte Hexe, die ihm am Ankunftstag mit dem Badewasser beinahe die Kronjuwelen verbrüht hätte. Du lieber Himmel, die alte Harpyie verfolgt mich, um mir das Leben zur Hölle zu machen, stellte er bestürzt fest. Zunächst war sie auf der Burg gewesen, und nun
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